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Warum wir alle ein bisschen weniger ehrlich sein sollten

In letzter Zeit ertappe ich mich häufiger dabei, dass ich mit kleinen Schwindeleien erziehe. Im Englischen gibt es dafür den noch besseren Begriff: white lie – die weiße Lüge. Also die irgendwie gute Lüge. Wie die weiße Magie, im Gegensatz zur schwarzen.

Ich sage dann solche Dinge wie: „Das Auto fährt nicht los, bevor du nicht richtig angeschnallt bist.“ oder „Der Brokolli ist ganz traurig, wenn du ihn nicht isst.“

Ich bin keine besonders gute Lügnerin. Was nicht heißt, dass ich nicht weiß, wie es geht. Gerade in stressigen Situationen kann die Fähigkeit, die Wahrheit ein wenig zu ziehen, zu vereinfachen oder sie ganz zu vermeiden, ziemlich hilfreich sein. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, bin ich bereit & auch schon relativ häufig damit durchgekommen. Es fehlt mir also nicht am Pokerface sondern mehr am unbeeindruckten Gewissen. Wie sehr ich auch trainiere, mir ist es bisher nicht gelungen, eine Lüge ohne Magengrummeln zu servieren. Das war schon als Kind so, wenn ich angesichts der bohrenden Blicke von Eltern & Lehrern kläglich versagte. Ich bin nicht gern unehrlich. Ich will den Menschen vertrauen & mag es, wenn sie mir vertrauen. Lügen, auch die kleinen Notlügen, sind nunmal immer ein kleiner Treuebruch. Auch wenn wir alle jeden Tag lügen. Wenn auch nicht 200 mal, wie man immer mal wieder liest, und unsere Gesellschaft zusammenbrechen würde, wenn wir einander stets die nackte Wahrheit sagen würden.

„Und was soll dann dieser Posttitel?“ werdet ihr euch fragen. Nun, nicht nur was Kindererziehung betrifft, entdecke ich zunehmend die Energie der aufmunternd-positiven Kleinlüge. Auch wenn ich mit angloamerikanischen KollegInnen zu tun habe, fällt wir oft auf, wie häufig sie Schummeleien oder nicht ganz wahre Übertreibungen verwenden, damit andere sich besser fühlen. Man kann das mögen oder nicht. Ich finde ein beiläufiges „Toll siehst du aus.“ zu jemandem, der es vielleicht gerade nicht tut aber Aufmunterung gebrauchen kann, sympathischer als ein hektisches Übergehen. Ich kritisiere nämlich gern zu schnell & zu detailliert.

Eigentlich geht es bei einer Notlüge oder Schwindelei (schon die Worte verniedlichen ja) darum, das eigene schlechte Gewissen ein wenig auszutricksen & die Verantwortung wegzuschieben für diese kleine unwahre Nichtigkeit. Trotzdem plädiere ich für mehr gewissensneutrale, wohltuende Schummeleien. Vorausgesetzt, sie erfüllen die notwendigen Kriterien. Sie sollten nämlich selbstlos sein, nicht auf den eigenen Vorteil bedacht & dem anderen nicht weh sondern gut tun. Dafür muss der Wunsch, dem anderen etwas Gutes zu wollen, ernst gemeint sein.

Am Besten verpackt man sie möglichst beiläufig. So können sie zur Steigerung der Laune von Freunden, Familie, Kollegen oder völlig Unbekannten & damit zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens teilhaben. Könnt ihr gern mal ausprobieren. Dazu gehören Sätze wie

  • Das hast du super gemacht. Was ziemlich einfach klingt, weil es meistens nicht mal 100% gelogen ist, sondern nur übertrieben, fällt vielen Erwachsenen untereinander trotzdem erstaunlich schwer. Gerade Wahrheitsübertreibungen bringen beim Gegenüber aber Selbstbewusstseinsschübe in Gang & können in vielen Szenarien genutzt werden. Jemanden, der unsicher wirkt & vielleicht noch nicht 100 sondern nur 80 Prozent super war, einfach mal zu applaudieren & nicht gleich zu kritisieren, kann eine Menge bewirken. Bei dir & bei ihm.
  • Alles wird gut. Ok, ok, ich habe auch eine zwiegespaltene Beziehung zu diesem Satz, nicht nur weil er so einen Bart hat, sondern weil er eigentlich immer eine Lüge oder zumindest nur eine Vermutung ist. Trotzdem, gut dosiert eingesetzt, kann er seine Wirkung entfalten. Oft  ist nämlich gar nichts gut. Das Leben fühlt sich schonmal an, wie eine Weiterentwicklung von definitiv-nicht-gut zu einigermaßen-ok-aber-lange-noch-nicht-gut. Ein einfaches „Wird schon wieder.“ kann auch dem Rationalsten angesichts  von Verzweiflung & Panik helfen. Als Placebo zur Beruhigung. Und zum Wissen, ich bin jemandem nicht egal. Manchmal wirkt es sogar richtig & schafft ein kleines bisschen Hoffnung. Sogar bei einem selbst. Was mich zum nächsten Satz bringt.
  • Ich bin toll/großartig/fantastisch. Versucht es mal, das mit Nachdruck zu sagen. Oft zu denken. Was nach einer ganz traurigen Motivationsmethode eines noch traurigeren Motivationscoaches klingt, ist eigentlich nur eine sinnvolle Gegenentwicklung. Wir schieben alle tagtäglich so viele Zweifel in unseren Köpfen herum, dass die eigene Demontage eine ziemliche Wissenschaft & ein Sport geworden ist. Frauen fällt es oft besonders schwer, nett zu sich selbst zu sein. Um das wieder gerade zu rücken, sind kleine Schritte von Nöten. Irgendwo anfangen ist nicht schlecht. Vielleicht bei diesem Satz.

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Fallen euch noch mehr kleine Schummeleien ein, die sich in den Alltag integrieren lassen? Viel zu oft ist ein nicht ganz wahres Kompliment das einzige nette Wort, was dein Gegenüber den ganzen Tag hören wird. Ich finde, wir sind alle viel zu überkritisch mit uns selbst & mit anderen. Ein bisschen mehr Unterstützung, nicht immer wahr aber ehrlich gemeint, klingt doch gar nicht so schlecht, oder? Und wer das gleiche Problem wie ich mit dem richtigen Lügen hat, kann nebenbei noch ein bisschen trainieren.

Foto: flickr – Lord Jim – CC by 2.0

3 Kommentare

  1. Oje, du hast völlig recht. Ich bin leider auch viel zu ehrlich. Das wurde auch immer bei meinen skandinavischen Kollegen deutlich, die alles besonders nett verpackten. Auf der anderen Seite ist es auch nicht schlecht, ab und an mal Klartext zu sagen.
    Dafür bin ich jetzt als Mutter eine sehr gute motivierende Lügnerin: Ich kann jeden Pupser sehr gut mit „Das machst du super!“ kommentieren. Haha. :)

  2. Daniela sagt

    Interessanter Ansatz, wie du schon schreibst, ist bei manchem eben die Frage, ob es sich nciht eher um sehr positiv formulierte Komplimente handelt als um richtige Lügen. Da gibt es neben schwarz & weiß wahrscheinlich auch noch eine Menge grau :-). Außerdem denke ich grad darüber nach, wann man eine Lüge eigentlich als schlimm empfindet und damit als Lüge. Vielleicht nur genau dann, wenn sich jemand davon verletzt oder hintergangen fühlt?

    • Das spielt auf jeden Fall mit rein, da hast du recht. Um philosophisch zu werden, die Frage kann man immer stellen: Ist etwas unrecht, wenn es niemand als falsch empfindet? Ist aber am Montagmorgen eine sehr tiefgehende Frage :-).

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