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Valentinstag

Wir haben den Teppich shampooniert. Einen Teppich zu shampoonieren ist nicht so leicht, wie man es sich vielleicht denkt. Man hat bei Shampoo eher Werbung für Haarshampoo im Kopf, in der alles immer sehr schnell geht. So ist es nicht. Menschen, die schon einmal gutbehaarte Hunde nach Waldspaziergängen reinigen mussten, haben eine Ahnung von dem Warten und Tupfen und dem Warten und Schäumen und der ganzen Sauerei, von der man hofft, dass sie am Ende in strahlender Sauberkeit mündet.

Wir kamen beide beinahe wie aus dem Nichts auf die Idee, dass man doch einmal den gesamten Teppich shampoonieren könnten. Vielleicht, weil schlechtes Wetter war, dachte ich zunächst und auch, weil er einen Fleck von Tomatensoße hatte. Es war die Tomatensoße, die wir immer kochen, obwohl unsere Kinder sie sowieso nie essen. Sie war stückig. Es ist ein Frevel mit ihnen, denn sie wissen nicht um den Zauber der bloßen Existenz stückiger Tomatensoße. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir sie haben. Noch vor 30 Jahren gab es nur eine einzige Sorte Soße. Man rief Massen von Versuchspersonen zusammen, wenn man eine neue kreieren wollte und fragte alle nach ihren Vorlieben. Dann traf man sich irgendwo in der Mitte und hoffte, die eine Soße gefunden zu haben, die möglichst vielen schmecken würde. Es war irgendwie immer die Gleiche.

Dann kam Howard Moskowitz und erfand die Tomatensauce neu. Anstatt die eine perfekte Sauce zu suchen, die den meisten Menschen schmecken würde, überlegte er, sollte man nicht besser viele Saucen machen, so dass jede und jeder seinen absoluten Favoriten kaufen konnte? Howard kochte in der Versuchsküche 45 Sorten Tomatensoße, er variierte alles durch, Schärfe, Süße, Gewürze, Stückigkeit. Und machte sich mit ihnen auf eine Reise durch das Land. Er füllte große Hallen mit noch mehr Menschen und verteilte seine Soßen. Aber anstatt aus den Daten die eine perfekte Soße zu analysieren, gruppierte er sie in verschiedene Geschmäcker. Was ihn am meisten überraschte: Ein Drittel der Spaghettiesser mochte stückig-grobe Tomatensoße, obwohl noch niemals irgendjemand in irgendeiner Befragung etwas von Gemüsestücken erzählt hatte. Dabei hatte man doch fest daran geglaubt, dass man die Leute nur fragen musste, was sie essen wollten und sie es dann schon sagen würden. Aber das hatten sie nicht getan. „Unser Verstand weiß nicht immer, was unsere Zunge mag.“ dachte Howard Moskowitz. Und ich denke: „Wie unser Herz.“ Es gibt keine perfekte Tomatensoße, es gibt nur verschiedene Arten von Tomatensoße, passend für verschiedene Menschen. Während wir kniend den Schaum verteilten, wurde es mir klar: Hier ist sie, genau vor mir, nicht nur im Teppich. Ich habe meine stückige Tomatensoße gefunden.

Noch nie hatte ich vorher in irgendeiner meiner Wohnungen den Teppich shampooniert, mit niemandem. Ich hatte nicht einmal regelmäßig Fenster geputzt, ich hatte nur offensichtliche, vom hereinfallenden Sonnenlicht vorwurfsvoll angestrahlte Flecken entfernt. In anderen Wohnungen, bei anderen Fenstern und Teppichen war immer der Gedanke an das Temporäre, an die zeitliche Begrenzung da gewesen. Vielleicht würde bald ein Auszug kommen und mich das Leben an einen anderen Ort rufen. Was nützte es da, auf Monate zu reinigen?

Jetzt ist dies mein Zuhause, lange schon und so selbstverständlich vertraut. Es ist schön, ein wenig Feenstaub auf die eigenen Träume zu streuen, aber mein Glück liegt hier, inmitten dieses Schaumes, du bist es, ihr seid es. Du bist der Eine. Dabei weiß ich als aufgeklärter Mensch natürlich, dass dieses Glück nur Zufall sein kann und auf keinen Fall Bestimmung. Es wäre zu hoffnungsvoll-spirituell zu glauben, dass es diesen einen Menschen tatsächlich geben sollte. Hoffnungsvoll-spirituell, aber nicht auf die gute Art, wie wenn man sich kleine Buddhastatuen und Meditationskissen in die Wohnung holt, sondern nur naiv. Es würde schließlich heißen, dass ich eine Art kosmische Halbkugel wäre, genau wie Aristoteles sie beschreibt, immer auf der Suche nach ihrem Gegenstück, ihrer Ergänzung.

Einst rollten wir nämlich alle fröhlich durch die Welt, als lustige Kugeln mit zwei Gesichtern, vier Armen und doppelten Geschlechtsteilen. Dann wurde den Göttern unser Glück zu viel. Sie schnitten uns in zwei Teile und wir sind seitdem verdammt dazu, wieder eins zu werden, auf einer traurigen Suche nach unserer anderen Hälfte. Nur wenn wir sie finden, sind wir wieder komplett. Dann können wir uns auch mit zwei Penissen oder zwei Vaginas zusammentun, kein Problem bei den alten Griechen, da waren sie weiter. Unser Fortschritt besteht darin, dass es die fundamentale Eins nicht mehr geben kann. Die Menschen, die einem wirklich nahe kommen im Leben, sind von kleiner Zahl, darauf können wir uns einigen, aber nicht ausgerechnet auf Eins. Ich weiß das. Aber ich verhalte mich trotzdem gern so, als wäre es anders. Es fühlt sich an wie Eins, mit dir.

Als ich am Montag nach dem Shampoonieren als Erste nach Hause komme, atme ich scharf ein. Der Tag war ein echter Montag. Ich mache das Licht an und es fällt sofort auf den strahlenden Teppich. Sauber und weiß ist er, bis auf diese kleine Ahnung von Tomatensoße oben links in der Ecke. „Fällt aber niemandem auf,“ hast du gesagt „das wissen nur wir – unser Geheimnis.“

Ich schaue auf das Weiß und lächele. Ich liebe dich.

Foto: flickr – Jamie – CC by 2.0

25 Kommentare

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  3. Sissi sagt

    Der Text ließt sich so herrlich. Wirklich einfach aus dem Leben gegriffen mit fast schon literarischer Qualität, danke das du uns an deinem Leben teilhaben lässt!

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  6. Wirklich toll :). Ich würde gerne mehr dazu sagen und es begründen, aber das fühle ich grad mehr als dass ich es erklären kann, falls du verstehst, was ich meine.
    Liebe Grüße :)

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