Leben & Lesen

Nicht mal im Schlaf hat man seine Ruhe

Es begab sich aber zu einer Zeit, als ich ziemlich ausgelaugt war, dass ich mich in ein small-talkiges Gespräch mit einem Managementcoach verwickeln ließ. Normalerweise versuche ich diese zu umschiffen, obwohl die meisten sicher nette Menschen sind. Aber Berufsgruppen mit hohen Stundensätzen und dem Zusatz „Coach“ im Namen (Fitness-, Lifestyle-,Karriere-, Glänzendere Haare-,) lösen bei mir leider oft ein kriechendes Unwohlsein aus. Der Auslöser des Gespräches war mein Gähnen in der Kaffeepause. „Guter Schlaf ist ein wichtiger Karrierefaktor.“ kommentierte der Coach, der sich auch gerade neben der Milch aufgebaut hatte.

Und lächelte ein „Los, frag mich mehr!“-Lächeln hintendran (was ich – nebenbei bemerkt – noch nie bei Frauen gesehen habe). So fand ich heraus, dass ich mich wohl tatsächlich schon lange mit keinem Coach mehr unterhalten hatte. Denn eine neue bahnbrechende Erkenntnis zur Selbstoptimierung war komplett an mir vorbeigegangen. Und das, obwohl bereits Anfang letzten Jahres vom Manager-Magazin über die Wirtschaftswoche bis zum Handelsblatt beinahe alle darüber berichtet hatten. Sie lautete: „Schlaf ist gut und ausreichend schlafen ist noch besser. Ganz besonders für die Karriere.“

Das verwunderte mich. Aus meinem letzten Gespräch mit einem Unternehmensberater hatte ich doch mitgenommen, dass die wahren Helden des Business ihr Leben genauso lean und effizient aufziehen wie ein Unternehmen sein sollte. Also braucht man generell immer weniger Schlaf als der Kollege (und als die Kollegin sowieso) und ist morgens selbstredend immer der Erste im Gym. Obwohl man abends in der Bar noch ordentlich mitgehalten hat. Noch beim letzten Salesoffensive-Impuls-Vortrag hatten genau diese Berater mit dem süßen Bild von der schlafenden Babykatze eröffnet (Zuhörer*innen erstmal emotional abholen), um dann den Slogan „Nicht zu gemütlich machen, die Konkurrenz schläft nicht!“ in Power Point einfliegen zu lassen. Von Margaret Thatcher über Thomas Middlehoff bis hin zu Seehofer, hatten die nicht alle mal damit geprahlt mit nur 4 Stunden pro Nacht auszukommen?

Das war jetzt wohl Schnee von gestern. Kalter Kaffee. Verbraucht und alt wie die Luft im Schlafzimmer am nächsten Morgen. Ließ mich der Coach wissen. Denn jetzt durfte wieder geschlafen werden, man musste sogar. Mitausgerufen hat den Trend Ariana Huffington mit ihrer Schlafrevolution. Die unterschlafene Powerfrau und Huffington Post-Gründerin knallte nämlich irgendwann vor Übermüdigung so unglücklich mit dem Kopf auf die Tastatur, dass sogar die Augenbraue genäht werden musste. Als sie dann leicht benommen wieder aufwachte, erkannte sie sofort ihre Mission. Und schrieb gleich ein Buch darüber. Seitdem lautet ihr Rat an Frauen auf Konferenzen: „Schlaft euch nach oben.“ Das passende Kissen zum Aufstieg gibt es zum Spottpreis von 28 Euro auf ihrer Webseite.

Womit wir schon beim Thema wären. Denn einfach hinlegen und ordentlich durchratzen nach dem Motto „Gute Nacht und süße Träume.“ geht natürlich nicht. Was wir alle wollen ist schließlich erholsamer Schlaf. Karrierefördernder Schlaf. Kurzum, bessserer Schlaf – besseren als ihn all die Unwissenden haben. Und die Unbelehrbaren, die immer glauben, sie könnten die Dinge einfach so machen (wie beim Essen, Bewegen, Beziehungen führen oder Kinder erziehen) – einfach so, ohne Coaches und Bücher und Kaufanlässe.

Das kann dann sehr gefährlich werden. Falsches Schlafverhalten endet nämlich in Depressionen, Herzschwäche, Übergewicht, Alzheimer und Tod. Obwohl ich mal irgendwo gehört habe, dass es irgendwann bei allen von uns im Tod endet. Aber das muss man ja nicht provozieren. Schließlich gibt es die Vorteile des richtigen Schlafes: besseres Immunsystem, besseres Gedächtnis, bessere Fettverbrennung und gesteigerte Leistungsfähigkeit. Na, klingt schon besser, oder? Und wo kriege ich ihn her, den optimierten Schlaf? Man ahnt es schon, ein gemütliches Bett reicht nicht aus, wir brauchen ein Konzept: ein Schlafkonzept. Im ersten Schritt sollte deshalb gemessen werden, um den eigenen suboptimalen Schlaf zu bewerten  – mit Trackingarmbändern, Schlaftagebüchern und intelligenten Schlafmasken. Das kostet natürlich ein wenig. Und dann darf man nochmal kaufen, um die Lösung zum Konzept zu erwerben. Wieder Trackingdingens und so. Und selbstverständlich die richtige  Matratze. Nicht umsonst galten Matratzen Start-Ups 2016 in den USA als eines der heißesten Investments. Neil Parikh, Gründer des 100 Millionen Dollar Unternehmens Caspar erklärte in einem Interview wie alles begann: „Am Anfang war es ein „Wir brauchen etwas Neues für das Matratzenbusiness, es ist kaputt.“ Das hat sich schnell zu „Lasst uns doch eine Industrie rund um den Schlaf erfinden.“ entwickelt. Ah ja. Praktisch.

Und wie praktisch, dass Schlaf etwas ist, was wir alle sowieso machen. So macht uns Schlaf jetzt nicht nur leistungsfähiger, sondern erinnert uns auch gleichzeitig daran, dass wir mehr sind als Arbeitsbienen und uns mal wieder um uns selbst kümmern sollten. Natürlich, um besser arbeiten zu können. Denn Arbeiten müssen wir ja, um die Helferlein zu kaufen, mit denen wir richtig schlafen und entspannen können. Müde sind dann nur noch die Abgehängten, die  Malocher. Die mit den Nachtschichten und den nicht so glamurösen Jobs, die zu Schlafmangel führen. Die, die wegen Sorgen um die nächste Miete oder um die neuen Schuhe der Kinder keinen Schlaf finden. Das Monopol auf schlechten Schlaf haben nämlich nicht nur die, bei denen Jetlags und Mitternachtstelefonate mit Übersee zur anstehenden Fusion das Hauptproblem darstellen. Aber sie haben die Möglichkeit, Schlafen zum Lifestyle zu machen, der als Statussymbol klasse zum 10 Euro-Detox-Smoothie passt. „Ja, ja,“ sagt der Coach, denn die Kaffeepause ist vorbei, „guten Schlaf muss man sich auch leisten können.“ Na dann, gute Nacht.

Foto: flickr – Maxi Walton – CC by 2.0

8 Kommentare

  1. Pingback: Sport- und Fitnessblogs am Sonntag, 9. April 2017

  2. Wäre ja auch unhaltbar, wenn nach dem kompletten Durchoptimieren unserer Tage die Nächte einfach ihre Ruhe hätten behalten können.

  3. erst die achtsamkeit, jetzt der schlaf. uff. danke für den text. und besonders für das beobachtete männliche „los, frag mich mehr!“-lächeln

  4. Super unterhaltsam geschrieben – egal ob Lifestyle oder nicht – ich liebe ja Schlaf und wenn ich könnte würde ich immer noch wie zu Schul und Studienzeiten täglich einen ausgedehnten Mittagsschlaf einschieben – aber ja, das muss man sich leisten können ;-)

    • Oh ja, Mittagsschlaf, das wäre es! Ich würde den Kindern so gern klarmachen, welches Glück sie haben, aber die glauben mir nicht!

  5. Toller Artikel, das hast Du schön auf den Punkt gebracht.
    Ich schlafe ja auch sehr gerne, aber mich nervt, wenn Schlaf zum Wettbewerb wird. Das ist dann generell auch der erste Schritt, um überhaupt nicht gut zu schlafen ;)

    Liebste Grüße aus Leipzig!

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