IN DER LETZTEN WOCHE erreichte die Geschichte von Nicola Thorp auch die deutschen Feuilletons von Süddeutsche, ZEIT bis FAZ. Die Zeitarbeitskraft sollte als Rezeptionistin im Londoner Büro der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers arbeiten, weigerte sich aber High Heels mit 5 cm-Absatz zu tragen und wurde nach Hause geschickt. Inzwischen hat Thorp eine Petition gestartet und Frauen posten aus Solidarität Fotos von sich in flachen Schuhen im Büro.
Darf ein Arbeitgeber Kleidungsvorschriften machen, die eine bestimmte Art von Weiblichkeit einfordern?
Rein rechtlich, ja. Es gibt sie bei Banken, Juwelieren oder Parfümerien. Als ein Pilot der Lufthansa vor zwei Jahren klagte, weil er seine Pilotenmütze nicht tragen wollte, – Den Pilotinnen war das Tragen freigestellt. – gab ihm das Bundesarbeitsgericht Recht. Es bestätigte aber auch, Kleidungsvorschriften für Männer und Frauen dürfen unterschiedlich sein.
Ich habe nur zwei internationale Tourismusbörsen als Messehostess auf hohen Schuhen verbracht und kann unumwunden zugeben, diese Erfahrung hat mir Promotionjobs und hohe Schuhe nachhaltig verleidet. Aber nicht bei jeder Arbeit, die feminine Kleidung vorsieht, ist eine Bierhalle in unmittelbarer Nähe…
Deshalb habe ich bei Lisa nachgefragt. Sie fliegt seit acht Jahren auf Kurz- und Langstrecke für eine große deutsche Airline um die Welt. Wenn der Post erscheint, ist sie gerade irgendwo zwischen Hong Kong und Heimat.
Eine Flugbegleiterin erzählt…
Zu Lisas Uniform gehören offiziell nur die Textilien. Schuhe und Koffer darf sie sich selbst aussuchen. Ganz frei ist sie nicht, neben Farbe und Material sollten Schuhe „einen erkennbaren Absatz“ haben. Auch was die Frisur betrifft, gibt es Vorgaben: „Gepflegt, und alles was auf den Schultern aufliegen würde, muss geschlossen getragen werden“. Ohne, dass es ausdrücklich gefordert ist, reguliert sich vieles von selbst, was Haare und Make Up betrifft. Die Meisten tragen Hochsteckfrisuren oder Lippenstift und Lidstrich. Dazu sagt Lisa:
„Dass zu unserer Uniform ein gepflegtes, klassisch-elegantes Erscheinungsbild gehört, finde ich nur logisch: Wir strahlen dadurch eine Kontrolle aus, die den Gästen spürbare Sicherheit vermittelt. Jemand, der aussieht, als sei er eine halbe Stunde vor Abflug aus dem Bett gefallen, wirkt nicht besonders vertrauenserweckend.“
Eine Mindestkörpergröße von 165 cm gibt es auch (Fun Fact: leider von mir knapp verfehlt.) und das „Gewicht sollte in angemessenem Verhältnis zur Körpergröße stehen.“ Das ist auch notwendig wegen der sicherheitsrelevanten Aufgaben, so Lisa. Vorschriften sind hier übrigens von Airline zu Airline unterschiedlich. Bei den asiatischen und arabischen geht es strenger zu. Im Kern gelten die gleichen Vorschriften (Aussehen: gepflegt-klassisch-elegant) übrigens auch für Männer. Sie haben nur weniger Auswahl bei der Kleidung. Flugbegleiterinnen dürften neben Rock und Kleid nämlich auch Hose tragen.
Dass Lisa sich gern für Rock und hohe Schuhe entscheidet, mag zunächst überraschen. Und dann doch wieder nicht. Steht beides im Businesskontext doch nicht nur für Attraktivität, sondern auch für Professionalität. Eine Studie der Columbia Universität bestätigt, Menschen in formeller Kleidung, werden nicht nur als professioneller wahrgenommen, sondern auch respektvoller behandelt. Und es fällt ihnen leichter, eine Distanz zu Kund*innen und Kolleg*innen zu wahren, wenn sie dies wollen. Auch Lisa findet ihre Uniform sehr sinnvoll und hatte als Berufsanfängerin keine Probleme, sich daran zu gewöhnen:
„Gerade als junge Frau muss man in der Lage sein, sich gegen teils 40 Jahre ältere Vielflieger durchzusetzen – da ist die Uniform schlagendes Argument. Sie gibt dem/der Träger/in sofort eine gewisse, von jedem wahrgenommene Professionalität, sorgt automatisch für die Wahrung einer gewisse Distanz und funktioniert im Fall der Fälle als richtiges „Schutzschild“. Wenn ein Gast sich bei mir über eine Verspätung oder Unregelmäßigkeit beschwert, für die ich nichts kann, ist mir in Uniform unterbewusst immer klar, dass er sich über das Unternehmen beschwert, nicht über mich als Person. Um ehrlich zu sein, war ich eher stolz, unsere Uniform zu tragen – und bis heute ist das Schminken und Fertigmachen vor dem Flug für mich eine Art Ritual, die mich auf die Arbeit und meine Aufgaben einstimmt.“
Und doch ist eben nicht alles gleich.
Während einem Piloten die Uniform vermutlich nur Autorität verleiht, trägt sie bei Flugbegleiterinnen noch andere Konnotationen. Der Hauptgrund, wieso Lisa an Bord ist, ist die Sicherheit. Nicht umsonst lernen sie und ihre Kolleg*innen nur einmal die Grundregeln des Bordservice. Aber wiederholen jedes Jahr Erste Hilfe- und Sicherheitstrainings. Kein Wunder, dass sie nicht nur Stewardessenklischees ärgern, sondern auch andere Distanzlosigkeiten. Da hilft manchmal auch keine Uniform.
„Am meistern ärgern mich nach wie vor die drei gängigsten Klischees – alle haben mit Intelligenz, Erotik und Homosexualität zu tun. Jedes von ihnen hat (wie alle Klischees) einen Funken Berechtigung, aber wer jede/n von uns auf sie reduziert, hat vor allem selbst einen sehr eingeschränkten Horizont (kein Klischee!). Mir sind tatsächlich recht wenige wirklich unangenehme Dinge in diesem Zusammenhang passiert. Sicher bekomme ich öfter eine Telefonnummer zugesteckt oder ein nettes Kompliment gemacht, als zum Beispiel eine Erzieherin oder eine Beamtin, aber solange das nicht zudringlich wird, spricht das für mich nur dafür, dass ich einen guten Job mache und sich die Leute bei mir wohlfühlen. Sicher kommt es vor, dass Männer „die sexy Saftschubse“ in uns sehen und sich deshalb fast schon berechtigt fühlen, uns anzugraben. Aber das sind dieselben, die der Meinung sind, ein kurzer Minirock rechtfertige sexuelle Belästigung und damit in meinen Augen minderbemittelt. Was mich wirklich nervt ist nur die ewige Frage nach dem „Mile High Club“ und ob ich Mitglied sei – welche andere Berufsgruppe würdet ihr denn ernsthaft nach ihrem Sexualleben am Arbeitsplatz fragen?!“
Vielen Dank, Lisa, dass du meine Fragen so schnell und offen beantwortet hast!
Lisas Antworten und die Geschichte aus Großbritannien zeigen, feminine Kleidungsvorschriften können mehrere Dimensionen haben. Die Diskussion, die nicht nur in Großbritannien entstanden ist, ist interessant. Nicht wenige meiner Bürokolleginnen sagen, dass sie sich mit Absatz souveräner und durchsetzungsstärker fühlen. Nicht zuletzt ein Resultat des veränderten Ganges (Kopf hoch, Rücken gerade) und der erhöhten Körpergröße. Dass das eigene Selbstbestimmungsrecht und Gleichbehandlungsgrundsätze verletzt werden, wenn Rock oder Absätze verlangt werden, ist aber ebenso nachvollziehbar. Wie ich mich, meinen Körper und meine Professionalität präsentieren möchte, ist schlussendlich nur meine Sache. Fremdnormierungen sind die Vorschriften und Handreichungen auf jeden Fall. Wenn sich Gerichte mit dem Thema beschäftigen, geht es übrigens nicht nur darum, was ein Unternehmen mithilfe der Kleidung seiner Angestellten darstellen möchte (Einheitlichkeit, Professionalität…), sondern immer auch darum, was wir alle als Vorstellungen in unseren Köpfen haben. Die das Unternehmen dann natürlich treffen möchte.
Mit dem Finger auf die Firmen zu zeigen, ist nur eine Seite der Medaille.
Unsere Erwartungen an das Aussehen einer Person, was wir gesellschaftlich bestimmten Berufen zuschreiben, prägt das Bild, was uns präsentiert wird, ebenso. Wenn in der Werbung die Flugbegleiterin freundlich lächelnd mit perfekten Zähnen dem Businessman das Nackenkissen reicht und nicht die Sicherheitshinweise demonstriert – zugegeben kein schönes Anzeigenmotiv, aber ihr merkt, wo ich hin will – dann ist das auch unser aller gesellschaftliche Wahrnehmung.
Das ist die gute Nachricht. Denn wenn sie uns nicht gefällt, können wir versuchen, sie zu ändern. Es ist an uns, wenn wir ein Flugzeug betreten, eine Wertschätzung zu zeigen, die über gut aussehende Frau, die meinen Kaffee macht, hinausgeht. Am Ende ist es nämlich die gleiche Frau, die dir den Notausgang zeigt. Und die Frage mit dem Mile High Club, die lassen wir in Zukunft auch, ok?
Wer mehr über Lisas Reisen und das Leben als Flugbegleiterin erfahren möchte, der sollte ihren Blog Helle Flecken lesen. Hier schreibt die studierte Publizistin, die neben dem Fliegen auch als Social Media Managerin arbeitet, seit zwei Jahren z.B. über immer wieder gern gestellte Partyfragen à la Läuft tatsächlich immer was zwischen Piloten und Flugbegleiterinnen?
Foto: flickr – Freya Hobbs – CC by 2.0