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Hallo zweites Buch!

Mein neues Buch ist da. Es heißt „Freundinnen“ und ist anders als das erste. Auch dort gab es schon persönliche Anekdoten, jetzt habe ich noch mehr erzählt.
Das Buch nahm in einer Zeit Gestalt an, in der in meinem Leben viel passierte. Schicksalsschlag könnte man es nennen, eine Krise vielleicht. Etwas, das die Dinge in Frage stellt: Prioritäten, eingeschlagene Wege, Zukunftsvorstellungen. Ich las viele Memoiren und von persönlichen Geschichten inspirierte Bücher. Vielleicht, weil man unbewusst auf andere und in ihre Leben schaut, wenn man eine Richtung sucht. Ich überlegte, dass wir eigentlich nur über Geschichten, über Bruchstücke unserer Erinnerung etwas voneinander  erfahren. Wenn ich frage: „Wie war deine Kindheit?“, dann bekomme ich eine andere Antwort als wenn ich frage „Wer hat dir die Zähne geputzt, wer hat dir vorgelesen, deine Haare geflochten?“

Am Anfang dieses Buches stand ein diffuses Gefühl. Weil ich selbst oft genervt dastand und dachte „Oh Mann, Menschen!“ Das machte mich traurig. Unsere Unterschiede und unser „Ich“ betonen wir gern und stellen sie nach vorn. Wir sieben Menschen aus, bezeichnen sie als „toxisch“, finden für die Verhaltensweisen anderer schnelle Diagnosen. Dabei sind es oft nicht die Menschen an sich, die uns verärgern, sondern die Umstände.

Es ist unser schnelles, vollgepacktes Leben, das wenig Zeit bietet, um durchzuatmen, uns einzulassen, wirklich für andere da zu sein. Zu oft flicken wir nur uns selbst schnell wieder zusammen, damit es am nächsten Tag weitergehen kann. Es scheint  die einfachere Lösung, uns zu entfernen, Beziehungen zu beenden oder einschlafen zu lassen. Dabei zeigen so viele Studien, dass es nicht nur gesunde Ernährung und Bewegung sind, die uns gesund halten, sondern vor allem Beziehungen. Von Zufriedenheit und dem ominösen Glück ganz zu schweigen.

Ich habe in meiner Krise erlebt, wie schön es ist, wenn Menschen da sind. Ich wollte ein Buch schreiben, das über meine Geschichten an eigene Freundschaften und Beziehungen erinnert. Eines, das Mut macht, ihnen mehr Zeit zu schenken. Nicht, weil sie Konten sind, auf die wir einzahlen und die dann eine bestimmte Rendite bringen. Nicht weil sie Versicherungen gegen die Einsamkeit wären, sondern, weil sie uns in all ihren Phasen zu Menschen machen und unser Leben lebenswert. Ich glaube, wir existieren erst über den Blick der anderen wirklich.

Lohnt es sich überhaupt Freundschaften zu schließen, wenn manche so böse auseinander gehen, habe ich mich manchmal während des Schreibens gefragt. Ja, würde ich immer sagen. Weil immer etwas bleibt. Nie ist alles weg, nie alles zerstört. Immer hat man etwas voneinander und über sich selbst mitgenommen. Es ist wie mit der Liebe. Auch nach dem größten Herzschmerz lieben wir irgendwann weiter. Das ist die Sache mit der Liebe und dem Untertitel des Buches (Freundinnen – Die andere große Liebe, nur besser). Denn in der Liebe nehmen wir Auf und Abs selbstverständlicher in Kauf.

Freundschaften stellen wir schneller hinten an. Gerade, wenn sie vermeintlich der Liebe im Weg stehen. Dabei sind sie genauso wertvoll, die andere große Liebe eben. Dafür müssen wir in sie investieren. Manchmal vergessen wir zur Feier unserer Individualität andere einzuladen. Freundschaften sind wesentlich. Sie zu erhalten beduetet da zu sein, auch wenn einem nicht einhundertprozentig danach ist.

Es ist viel Herz in dieses Buch geflossen, viel Zeit sowieso. Ich hoffe, dass es seine Leserinnen findet und dass es Mut und Lust auf andere Menschen macht. Auf die kleinen und großen Glückmomente mit ihnen genauso wie auf die Talfahrten. Ein wenig mehr „wir“ kann uns allen nur gut tun.

Foto: The New York Times photo archive, via their online store, here (via Wikicommons)

Instagram

Kind: „Ist das eine Freundin von dir?“
Ich: „Nein.“
Kind: „Möchtest du, dass sie deine Freundin wird?“
Ich: „Nicht wirklich. Das ist etwas anderes. Ich schaue nur die Bilder an.“
Kind: „Schönes Kleid.“
Ich: „Ja, finde ich auch.“
Kind: „Ist das ihre Küche?“
Ich: „Ja.“
Kind: „Wo wohnen die? Warst du da schonmal?“
Ich: „Nein.“
Kind: „Ist das ihre Tochter?“
Ich: „Ja.“
Kind: „Können wir die mal zum Spielen einladen?“
Ich: „Weißt du, das ist niemand, den wir kennen.“
Kind: „Wieso gucken wir uns dann Fotos von denen an?“

Foto: flickr – Madelinetosh – CC by 2.0

Happy Woman’s Christmas

Heute ist der 6. Januar. Der Tag, an dem die Heiligen Drei Könige bei Jesus ankamen. (Ja, late to the party, aber es war ja auch ein langer Weg und nur ein Stern statt Google Maps, man kann sich das vorstellen.)  Und es ist der Tag, an dem in Irland traditionell „Little Christmas“ gefeiert wird, das kleine Weihnachten. Nun könnte man mosern, dass es vermutlich das „kleine Weihnachten“ heißt, weil es ein Fest für Frauen ist.  Weiterlesen

Pessimistische Stofftiere

Unser neuer Mitbewohner ist eines dieser elektronischen Stofftiere. Das Tier ist ein Hund. Er ist süß und flauschig, aber anstelle von Knopfaugen hat er einen kleinen Bildschirm. Als ich noch klein war, nahm ich jede Nacht alle meine Kuscheltiere mit zu mir ins Bett. Alle, ohne Ausnahme. Auch wenn ich dann selbst kaum Platz hatte, dachte ich, die des Bettes Verstoßenen würden mir sonst traurig aus ihren Knopfaugen hinterherblicken.

Der Trick funktioniert bei den digital programmierten 2017er Augen nicht mehr. Sie schauen schon seit Tagen traurig ohne dass sie bei meinen Kindern eine Reaktion auslösen. Der Hund hat nämlich in regelmäßigen Abständen Hunger oder Durst. Dann muss man ihn per Druck auf seine Pfote (Auswahlmenu erscheint) mit einem Knochen oder Wasser (Bestätigung mit Druck auf den Bauch = Entertaste) versorgen. Tut man dies nicht, schaut er traurig und gibt in immer kürzer werdenden Abständen ein klägliches „Ich habe Hunger oder Durst.“ mit zitternder Computerstimme von sich. Da ich ihn allerdings bereits am ersten Tag auf die geringste Lautstärke stellte, als er noch nach ständigem „Spaß“ verlangte, entfaltet sein Flehen nicht die gewünschte Wirkung. So steckt der Hund seine kleiner werdenden Energiereserven in immer vehemmenteres Alarmschlagen – wie ein Elektrogerät, das den letzten Rest Akku für eindringliches Piepen und Blinken verschwendet und so nur noch schneller leer wird.

Irgendwann im letzten Monat wurde mir klar, dass ich dieser Hund bin. Ich bin wie er, wenn mir das Leben mal zu viel wird, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas ganz falsch läuft oder nicht mehr zu schaffen ist. Wie der Hund investiere ich dann meine Energie zunächst in Panik, in richtig schlechte Laune und Selbstmitleid – auf jeden Fall aber nicht in problemlösendes Nachdenken.

Dabei habe ich schon ein paar Mal in Situationen gesteckt, die so verzwickt erschienen, dass ich dachte, so schnell nicht wieder zufrieden sein zu können. Und doch vergesse ich in jeder meiner persönlichen Apokalypsen, dass die vorangegangen sich trotzdem irgendwie gelöst haben und heute nicht mal mehr besonders bedeutsam erscheinen. Die Dinge zunächst schwarz zu sehen, ist dabei nicht nur einer meiner Charakterzüge, sondern eine ziemlich menschliche Eigenschaft. Wenn unsere Ur-Ur-Ur-Großmütter vor jeder Schlange davongelaufen sind, weil sie giftig sein könnte, sank die Möglichkeit, an einem Schlangenbiss zu sterben beträchtlich. Auch wenn sich Ur-Ur-Ur-Oma zu 99 Prozent der Zeit völlig unnötigen Stress machte. Vom ersten Impuls her pessimistisch zu sein, diente also irgendwann einmal der Selbsterhaltung. Heute bedeutet es – in Abwesenheit von Giftschlangen aber angesichts manchmal genauso unsicher erscheinender Lebensumstände – aber eben auch, dass man sich immer noch eine Menge unnötige Anstrengung bereitet.

Mir jetzt Stress zu machen, dass ich nicht sofort in eine „Tschakka“-Haltung verfalle, wenn mir Probleme begegnen, ist aber auch nicht die Lösung. Ein kurzer Abstieg ins Jammertal bedeutet nämlich auch, dass ich mir ein schönes – äh, schwarzes – Bild der Situation ausmale: so richtig düster und auf jeden Fall viel verzweifelter als sie in Wirklichkeit jemals sein könnte. Und wenn ich diese Vision dann betrachte, fällt es sofort ein bisschen leichter, sich an die ganzen bereits ausgemalten Weltuntergänge zu erinnern, die nicht eingetreten sind…oder am Ende doch nicht so schlimm waren…oder grauenhaft schlimm waren, aber wie alles irgendwann in der Erinnerung verblassten. Anfänglicher Pessimismus ist also gar keine schlechte Sache.

Das Flehen des Hundes ist übrigens irgendwann richtig flehentlich geworden – bis er auf einmal in meditativer Stille versank als hätte er diesen Text gelesen. Ich drückte seine Resettaste und auf einmal war alles wieder in Ordnung. Wirklich alles, wie ich verblüfft feststellte. Er hatte nicht einmal mehr eine Spur von Hunger oder Durst.

Foto: flickr – Rachel Gardner – CC by 2.0

Wo ich herkomme

Ich komme ungefähr aus der Mitte von Sachsen-Anhalt. Ich bin dort aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe die ersten Jahre in Magdeburg studiert. Meine Eltern wohnen dort und große Teile meiner Familie. Ich mag meine Familie sehr gern, ich bin immer viel dort gewesen. Seit meine Töchter auf der Welt sind noch häufiger, denn sie lieben ihre Großeltern, sie lieben die weite Landschaft der Elbauen, die auch mich immer durchatmen lässt und sie lieben die Leute dort. Sie kennen ihre Namen, die Namen ihrer Hunde, sie wissen, wo sie in Gärten laufen können und freudig begrüßt werden.

Ich selbst bin in den letzten Wochen oft zusammengezuckt, wenn ich durch die Straßen fuhr, um sie abzuholen, denn Plakate, die ich in Berlin in meinem Bezirk gar nicht kannte, hingen dort sehr viele und sehr tief. Ich könnte noch ein paar andere Geschichten erzählen, aber genau das will ich heute nicht. Denn seit gestern, seit ich ein paar Tweets gelesen habe, zu Unverständnis, zu „denen“, zu Mauern, die wir wieder bauen sollten (von der anderen Seite und jaja, alles nur lustig gemeint), gehen mir einige Sätze nicht mehr aus dem Kopf, die oft zu mir gesagt werden, wenn man mich in meinem Heimatdorf begrüßt. „Na, wieder da aus der großen Stadt? Zuhause ist es doch am Schönsten, oder? Ach, Corinne, es ist doch eigentlich ganz schön hier, oder? Man kann es hier schon ein paar Tage aushalten.“

Diese Sätze habe ich bisher kaum wahrgenommen, heute machen sie mich traurig. Sie werden von Menschen gesagt, die ihre Straßen und ihre Heimat lieben, die so alt sind wie ich und dort geblieben sind, die versuchen, ein Theater und sein Orchester zu retten, die Kulturfestivals organisieren, Lesungen, die ihr Leben gestalten. Die aufstehen und gegenhalten, die oft eigentlich so sind wie ich, nur an einem anderen Ort. Und sie werden zu mir von Menschen gesagt, die zurückgeblieben sind, weil ihre Kinder auch weg gegangen sind, nicht in die große Stadt Berlin, aus der man schnell in meine Heimat kommen kann, sondern ganz nach „drüben“, mit 16 oft schon für eine Ausbildung und dort in Dörfern leben, die meinem gar nicht unähnlich sind bis auf die Tatsache, dass sie nun 7 Stunden Autobahn trennen und man sich nur noch an Geburtstagen und Weihnachten sieht.

Diese Sätze, sie gehen mir nicht aus dem Kopf. Sie sind so defensiv, sie tragen so viel in sich. Sie fragen nur nach ein wenig Anerkennung für ein Leben, ein wenig Aufmerksamkeit, ein wenig Würde, ein wenig Liebe für dieses Stück Erde auf das so viele andere abfällig schauen. Manchmal schwingt in ihnen sogar schon die Verachtung mit, die andere äußern. Wie wenn es weniger weh tut, wenn man sich selbst verletzt. Ich musste das heute aufschreiben, auch mich machen Wahlergebnisse fassungslos. Aber auch ich bin nicht dort. Ich komme nur angefahren und gehe wieder weg. Auch ich bin gegangen, erst in ein anderes Land, dann in die Stadt. Wenn ich das nächste Mal wieder da bin, will ich mehr als Antwort sagen. Vielleicht so etwas wie: „Ja, richtig schön habt ihr es hier. Toll, was ihr auf die Beine gestellt habt. Wie lief eigentlich das Open Air Filmfestival? Nächstes Jahr sind wir dabei.“ Und dann vielleicht noch: „Mensch, komische Sache mit der Wahl, oder?“

Bild: flickr – Dancing Storm – CC by 2.0