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#9 Das Buch ist da – Unbeschrieben-Podcast

Heute erscheint mein Buch, so richtig in gedruckt und mit meinen Worten drin. Es heißt „Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne“. Ihr könnt in dieser Podcastfolge hineinhören, denn ich lese euch zum ersten Mal daraus vor. Es ist schon etwas Besonderes, gleich auf „veröffentlichen“ zu drücken, ein Jahr Reise geht zu Ende. Schön, dass ihr dabei wart!  Weiterlesen

Gastbeitrag: Nicht jeder sieht man ihre Krankheit an

Ich habe Theresa schon einmal getroffen. Wir haben nicht besonders viel geredet, aber sie war jemand, deren Augen lächeln. Ihr kennt sicher diese Menschen, die einfach positiv sind. Als ihr Gastbeitrag bei mir eintrudelte, hat mich das ziemlich mitgenommen. Aber Theresa schrieb, dass sie findet, dass auch diese Themen eine Öffentlichkeit brauchen. Und da hat sie absolut recht. Hier kommt ihr Text: 

Ich bin 29. Ich habe mehrere Kinderbücher auf Deutsch und Englisch (und eins sogar in chinesischer Übersetzung) veröffentlicht, bin an der Uni eingeschrieben, habe zwei Ausbildungs- und einen Weiterbildungsabschluss und viele Jahre Berufserfahrung als freiberufliche Englischdozentin und Nachhilfelehrerin. Alles ganz normal also, eine junge Frau mit Träumen und Zielen.

Nur wer genauer hinschaut, erkennt die Anspannung. Die dunklen Ringe unter den Augen. Die blasse Gesichtsfarbe. Den kurzen Moment des Innehaltens und Durchatmens. Die verstohlene Einnahme einer Tablette mitten im Unterricht. Die ständigen kleinen Positionswechsel während der Vorlesung. Die Erleichterung, wenn ich in der Bahn oder im Bus einen Sitzplatz bekomme. Die Traurigkeit in meinen Augen, wenn ich Lehrmaterialien sehe. Oder kleine Kinder. Was von außen nicht sichtbar ist, spricht eine viel deutlichere Sprache. Schlaflose Nächte. Müdigkeit. Chronische Verspannungen. Und Schmerzen, immer, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche. Tränen, so viele Tränen, weil ich meinen Traumberuf als Englischdozentin im Januar an den Nagel hängen musste. Frust, weil mein Gehirn tageweise nicht in der Lage ist, neue Dinge vernünftig aufzunehmen und zu verarbeiten. Die vielen Arzttermine. Ich habe Panik vor Blutabnahmen und Nadeln in meinen Adern. In diesem Jahr sind es bisher neun Nadeln gewesen; nächsten Monat muss ich erneut zur Blutabnahme. Wir haben August. Ich nehme inzwischen zwei Medikamente regelmäßig sowie bei Bedarf weitere, teilweise gegen die Nebenwirkungen meiner Medikamente.

Theresa lebt und studiert in Berlin. Sie hat schon früh ihre Leidenschaft für Sprachen und das geschriebene Wort entdeckt und schreibt auf Deutsch und Englisch. Ihr Blog bietet einen bunten Mix aus Themen aus ihrem Leben, ihre Bücher drehen sich vor allem um das Thema Freundschaft. Als Theresa Berg kann man sie auf Deutsch lesen (meine Tochter mochte Miro sofort), als Saoirse O’Mara auf Englisch. Theresa sagt, dass sie neben ihrer Liebe zu Sprachen vor allem diese Eigenschaft auszeichnet: ihre Sturheit. Früher war sie ein dickköpfiges Kind, das öfter mal mit dem Kopf durch die Wand wollte. Heute ist sie eine Kämpferin, die sich schlicht weigert aufzugeben.

Im Zimmer nebenan steht ein Rollstuhl, mein Rollstuhl. Privat gekauft, da die Krankenkasse ihn bei meiner Diagnose nicht zahlt. Nächste Woche werden wir ihn bei einem Museumsbesuch benutzen. Bei meinem letzten Museumsbesuch, im April, saß ich das erste Mal im Rollstuhl. Die Schmerzen waren zu stark, ich konnte weder stehen noch gehen. Wir waren erst im vierten Raum. An jenem Tag stand ich im Bus das erste Mal nicht für eine ältere Frau mit Krücken auf. Ich brauchte den Sitzplatz ebenso, auch wenn man es mir nicht ansah. Die Tränen kamen abends, als ich allein war. Wieder ein Stück meiner Freiheit verloren.

An manchen Tagen reicht meine Energie gerade mal dazu aus, vor dem Laptop zu sitzen und im Internet zu surfen. An manchen Tagen sind die Schmerzen so stark, dass ich versuche, mich mit Computerspielen abzulenken. Aufs Lesen könnte ich mich nicht konzentrieren. Ich weiß nicht, wie das nächste Uni-Semester wird. Ich weiß nur, dass ich seit Anfang des Jahres so viel verpasst habe, dass ich ein komplettes Modul wiederholen muss. Und ich weiß jetzt schon, dass ich es nicht vier Mal die Woche regelmäßig um acht Uhr morgens in die Uni schaffen werde. Ich werde es versuchen. Ich will studieren. Ich will eigentlich auch wieder unterrichten. Aber das ist im Moment nicht möglich. Das ist vielleicht nie wieder möglich.

Ich bin 29, und ich bin chronisch krank. Mein Teufel heißt Fibromyalgiesyndrom (FMS) und gilt aktuell als nicht heilbar. Diagnostiziert wurde ich im März; die Beschwerden habe ich bereits seit meiner Kindheit, und sie sind stetig stärker geworden. Er ist nicht alleine gekommen. Er hat noch seine Geschwister allergisches Asthma und Endometriose mitgebracht. Weitere chronische Erkrankungen sind nichts Ungewöhnliches für FMS-Patienten. Ich werde niemals eigene Kinder haben. Ich habe meinen Traumberuf verloren. Meine Bücher verkaufen sich so gut wie gar nicht, weil mir Geld und Energie für Marketing fehlen. Ohne meinen Mann wäre ich mittellos, ohne Anspruch auf Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Rente. Meine Träume und Ziele sind eingestürzt wie ein Kartenhaus, und neue aufzubauen kostet Kraft. Wirklich stabil sind sie auch nicht, aber ich versuche es immer und immer wieder neu, jedes Mal ein bisschen anders. Jedes Mal ein bisschen weniger.

Aber ich bin zu stur, um aufzugeben.

Foto: flickr – Loren Kerns – CC by 2.0

Liebe Jane,…

Was wüssten wir von dir, liebe Jane, wenn es die Männer in deinem Leben nicht gegeben hätte? Deinen Vater, den Pfarrer, der seinen Töchtern genauso wie seinen Söhnen die heimische Bibliothek öffnete. Der dich vermutlich zuhören ließ, wenn er im Pfarrhaus andere Jungen unterrichtete, die er in Pension genommen hatte. Den Verleger, der deinen ersten Roman herausbrachte. Deinen Bruder und deinen Neffen, die mit ihren Biografien deinen posthumen Ruhm befeuerten. Und nicht zuletzt andere große Schriftsteller wie Walter Scott und Coleridge, die dein Talent lobten. Deine Schwester Cassandra, engste Vertraute ein Leben lang, deine Seelenverwandte, die dich pflegte und in deinen letzten Stunden bei dir war, hat hingegen die meisten deiner Briefe verbrannt. Weiterlesen

Beim Frisör

Gestern war ich beim Frisör. Während meine Wimpernfarbe trocknete und ich mit geschlossenen Augen in die Dunkelheit horchte, hörte ich ein Gespräch mit. Bereits als ich den Laden betrat, bemerkte ich, dass es eine besondere Frau in diesem Salon gab. Die anderen Kundinnen und die Angestellten schielten immer wieder verstohlen zu ihr hinüber. Sie schauten sie so an wie viele Frauen anblicken, die ein bisschen zu auffällig gekleidet, ein bisschen zu stark geschminkt sind – mit einer Mischung aus Ver- und Bewunderung. Ich denke, die Frau war Anfang 70, aber ich bin mir unsicher. Ich kann ältere Frauen schlecht schätzen, vielleicht weil ich in den Medien tatsächlich zu wenige von ihnen zu sehen bekomme und gar nicht weiß, wie weibliches Alter eigentlich aussieht. Aber vielleicht auch nur, weil ich mich mit zu wenigen umgebe.

Die Frau war nicht allein. Neben ihr saß ihre Begleitung. „Meiner Mutter war es immer zu aufwendig, mir Zöpfe zu flechten,“ begann sie zu erzählen, während ich still in ihrem Rücken saß „ich musste ja auch früh mithelfen, wir waren ja sechs. Sie schnitt sie immer kurz und ich beneidete die anderen Mädchen so.“ „Aber danach, Mama,…“ wandte ihre Begleitung ein. „Ach,“ sagte die Frau, „dann kamt ihr und dann war ich doch schon in einem Alter, wo man keine langen Haare mehr trägt, nur bis zur Schulter oder so. Und dann dachte ich, so etwas macht man doch nicht. Das wäre doch eitel. Dabei war das immer mein allergrößter Wunsch.“ „Dein allergrößter Wunsch, Mama?“ fragte die Tochter in diesem Moment fast spöttisch zurück. „DAS war dein größter Wunsch?“ Nur kurz war die Stille, dann antwortete die ältere Frau bestimmt: „Ja, das war er.“

Ich bekam die Farbe von den Augen gewischt, die Haare gefönt und schaute beim Hinausgehen noch einmal genau hin. Auf dem Frisörtisch vor der auffälligen älteren Frau lagen massenhaft sehr lange, sehr blonde Haare. Sie bekam gerade Extensions. Inzwischen hielt ihre Tochter ihre Hand und lächelte. Ihre Mutter hatte rote Augen. Ich glaube, sie weinte immer noch ein wenig.

Auf dem Weg nach Hause dachte ich darüber nach, was ich über diese Frau denken würde, wenn sie mir jetzt auf der Straße entgegen käme – mit ihrem eng anliegenden kurzen Kleid und ihrem Full Frontal-Make Up. Mit diesen hüftlangen blonden Haaren, die mich mehr an Daniela Katzenberger erinnerten als an eine Oma. Ich hätte sie vermutlich irritiert aufgenommen, als Zeichen von Geltungssucht und Narzismus vielleicht. Dabei scheinen diese Zöpfe vielmehr Symbol einer nicht gelebten Kindheit zu sein.

In den letzten Tagen habe ich ein paar Texte gelesen, in denen es darum ging, was Frauen tun, um attraktiv zu sein und zu bleiben. Was von ihnen erwartet wird, was sie für nötig halten, was andere über sie denken, wenn sie Botox nutzen, gebleichte Haare oder falsche Wimpern tragen. Was ist zuviel und was zu wenig? Wann sind wir ganz bei uns und wann nur getrieben von fremden Erwartungen? Warum fällt es auch mir manchmal so schwer zu glauben, dass – im übertragenen Sinn und für die schöne Alliteration – Lippenstift und Literaturinteresse wunderbar zusammengehen? Vielleicht, dachte ich, ist die Antwort gar nicht so schwer: Es wird Zeit. Zeit, dass wir uns unsere eigene Schönheitsgeschichte zurückzuholen und anderen ihre gönnen. Meine geht so: Es macht Spaß, ein bisschen besser auszusehen. Es ist ein gutes Gefühl, attraktiv zu sein. Perfekt hingegen ist langweilig. Und oft sehr, sehr anstrengend. Das geht doch eigentlich ganz gut zusammen, oder?

 

Foto: flickr – Midnight Believer – CC by 2.0

Daddy’s Girl

In den letzten Tagen ging es medial viel um Väter. Um Väter von Töchtern. Um Väter, die bessere Menschen durch ihre Töchter werden. Diese Töchter machen Männer zu Feministen und setzten vermeintliche Frauenthemen wie den Gender Pay Gap auf politische Agenden. Sie machen empathischer, verständisvoller, liebender, ausgeglichener und verhelfen zu einem klareren Blick auf das Leben und gesellschaftliche Missstände.

Mich irritert das – übrigens auch, wenn die Erzählung nur beinhaltet, dass Kinder im Allgemeinen einen Mann erst zu einem gefühlsbetonten Wesen machen. Und es zum Beispiel deshalb wahnsinnig bereichernd ist, Elternzeit zu nehmen. Wenn frischvervaterte Männer verkünden, wie sehr ihnen nun der Sinn des Lebens in aller seiner Klarheit vor Augen liegt – der da bedeutet, dass Zeit mit geliebten Menschen doch das Wichtigste sei. Ich frage mich dann immer, warum Freundinnen und Partnerinnen vor dem Kind nicht für diese Erkenntnis gereicht haben, aber das ist vielleicht ein anderes Thema.

Ich überlege also und bin irritiert. Ganz besonders eben, wenn es die Töchter sind, die gesellschaftliches Engagement aus den XY-Chromosomen herauskitzeln. Dass Frauen mit ihrem guten Wesen Männer empathischer machen, dass sie sie weicher werden lassen und damit einen Gegenpol zur rauen Außenwelt bilden, in der der Mann tagtäglich seinen – äh, Mann eben – zu stehen hat, ist nämlich genau die Vorstellung von den Tugenden eines bürgerlichen Paares wie sie sich das 19. Jahrhundert einmal ausgedacht hat. Die Domäne des Mannes, die raue Außenwelt, lässt keine Gefühle zu oder alle in ihm erkalten, wenn sie überhaupt jemals da waren. Nur im heimischen Refugium der Familie, mit Frau und Kindern/Töchtern, kann er ein wenig die harte Schale aufweichen. Hauptaufgabe der Frau in dieser Idealvorstellung war übrigens die Schaffung eines moralischen Fundaments im Haus. Das ist gar nicht so weit weg von gesellschaftlichem Engagement, was die Töchter heute angeblich auslösen, oder? Auf dieser Vorstellung der Natur von Mann und Frau fußen eben auch heute noch unsere manchmal ziemlich starren Rollenbilder.

Männer, die erklären, wie sehr ihre Töchter sie zu empathischeren Menschen gemacht haben, tun ihren Töchtern deshalb keinen besonders großen Gefallen. Denn sie bestätigen eigentlich nur die Klischees, die ihren Töchtern unter Umständen einmal das Leben schwer machen werden. Und vielleicht noch wichtiger: Sie bestätigen Klischees vom Mannsein, die auch sie selbst treffen.

Ich freue mich über jeden, der seine Tochter liebt und diese Liebe mit der Welt teilt. Die Welt braucht definitiv mehr Liebe. Aber warum nicht einfach so lieben, einfach so aus männlicher Emotionalität heraus? Und sich einfach so verändern, die Welt neu sehen ganz ohne eingeflochtene Rechtfertigung? Es braucht doch keine Tochter für ein bisschen Empathie gegenüber anderen. Eure Töchter hätten auch lieber eine Welt, in der sich Männer ganz selbstverständlich auch für andere (vielleicht sogar für Frauen!) interessieren und sie sie nicht erst dazu erziehen müssen. Das ist nämlich auch eine ziemlich Hypothek, eine ziemliche Aufgabe, die sie hier unterschwellig mitbekommen. Und wie das so ist mit der Erziehung, klappt diese nicht immer. Der Prototyp der mäßigenden Tochter war nämlich Ivanka Trump. Wie viele Texte hofften darauf, dass sie als symbolisches Korrektiv wirken würde? Wie gut das geklappt hat, wissen wir alle. Und die Empörung, als Ivanka sich Rollen, Ämter und Einflussgebiete einfach nahm – einfach so, weil sie greifbar vor ihrer Nase lagen – und ihre Macht nicht dafür benutzte, um Papa ein wenig freundlicher zu stimmen, haben wir auch beobachtet. Ivanka Trump spielt die Rolle des Daddy’s Girl perfekt und vermutlich sogar selbstgewählt. Aber wer will das schon für seine Tochter?

Foto: flickr – oklanica – CC by 2.0