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Lernkurve

Diese Woche stolperte ich über Elizabeth Gilbert. Die Autorin, die mit “Eat, Pray, Love” zuerst der Welt die Welt, die Selbstfindung und das Essen beibrachte und dann die Freuden eines kreativen Lebens, berichtet bei Oprah Winfrey über ein Erlebnis. Normalerweise erzählte Gilbert in ihren Vorträgen, dass man sich nur trauen müsse, der eigenen Leidenschaft zu folgen. Glück, Erfolg und Babywelpen würden dann ebenfalls erscheinen. Dann las die Autorin nach einem dieser Vorträge einen Facebookpost. (Hey Liz, just came from your speech. Because of what you said up there I have never felt worse in my life. I have no passion, I have no guiding flame, it is just not there. My interest changes by the season and I feel deeply embarassed by this.) Gilbert entscheidet daraufhin, sich nicht mehr dafür auszusprechen, der einen, eigenen Leidenschaft kompromisslos zu folgen (weil nicht alle diese haben), sondern hält ein neues Plädoyer für Neugier (die hat jede und sie darf munter wechseln). Dazu kann ich nur sagen: Elizabeth, ich liebe dich, aber geh mir weg mit Neugier. Neugier ist mein Verderben. Längst bin ich darüber hinaus, mich mit Netflixserien oder Instagram abzulenken, ich prokrastiniere mit Wissenserwerb.

Ich bin bei so vielen Onlinekursen angemeldet, dass ich noch zwei Leben bräuchte, die Zahl meiner Browserlesezeichen ist höher als die auf meinem Bankkonto und zu meinem Glück ist der Stapel an Leseproben spannender Bücher auf meinem E-Reader nur digital meterhoch. (Was? Darwins Theorie vom “survival of the fittest” ist gar nicht das Non-Plus-Ultra, weil es überall in der Natur um Kooperation geht, die Stasi hatte einen Lyrikkreis und wieso weiß ich eigentlich nichts über die Schriftstellerin Mary McLane?)

Wann immer ich etwas erledigen will, finde ich etwas Spannenderes zum Ablenken.

Oft habe ich die eigentliche Aufgabe auch schon begonnen bis eine schillernde Randnotiz mich in den Kaninchenbau zieht. Psychologisch ist das super, denn ich kann mir einreden, dass ich trotzdem etwas Sinnvolles mache. Wem hat zu viel Wissen schon jemals geschadet? Nun, mir, gelegentlich. (Für mehr Realität in Newslettern: Hier wurde dieser Text für ein zwanzigminütiges YouTube-Video zur Funktionsweise des Thermomix – nein, ich besitze keinen, aber es interessiert mich – unterbrochen.)

Nun wissen wir alle, dass bei den kleinen und großen Problemen des Lebens nur eines verlässlich hilft: die Weisheit des Internets. Erste und durchaus immer hilfreiche Erkenntnis: Ich bin nicht die Einzige, der es so geht. In einem Artikel finden sich sogar Tipps gegen das Verderben. “Wissen ist unnütz, wenn man es nicht anwenden kann.” steht dort beispielsweise. Das soll mich beruhigen. Nun ist es aber so, dass man als Schreibende immer alles Wissen gebrauchen kann. Allein der Gedanke daran, wie oft mir Erinnerungsfetzen aus den hinteren Regionen meiner Großrinde Textein- und ausstiege gerettet haben, lässt in mir sofort den Impuls aufkommen, doch den Einführungskurs zur Quantenphysik zu machen. Und wer Kinder hat weiß sowieso, dass es eigentlich keine Art von Wissen gibt, die nicht irgendwann einmal abgefragt oder angewendet wird. Von einer überraschenden Teilnahme bei “Wer wird Millionär” oder einem dieser 5.000-Euro-Radioquizze will ich gar nicht erst anfangen.

“Sie sollten aufhören aus den Erfahrungen und dem Wissen anderer zu lernen und anfangen, auch aus Ihren eigenen Fehlern, Erfolgen und Abenteuern zu lernen.” ist der zweite Tipps der Artikels und erscheint mir schon beim ersten Lesen zu meta. Mir geht es ja gerade nicht um meine eigene kleine Welt, sondern um die große, spannende Welt da draußen, über die es noch so viel zu erfahren gibt. Neues zu lernen ist eben fantastisch. Jedes Buch, jeder Podcast, jeder gute Artikel stößt die Tür weiter auf und es gibt nichts Schöneres, als wenn man das Gefühl hat, dass die Synapsen gerade arbeiten (außerdem kann man Halbwissen auch immer toll in Smalltalksituationen verwenden). Außerdem bezweifle ich, dass mein eigenes Leben, doch eher geprägt von gemütlicher Mittelmäßigkeit als von Abenteuern, mich in absehbarer Zeit näher an Fragen zu Darwins Evolutionstheorie gebracht hätte (auch wenn Kooperation in der Kindererziehung natürlich gerade ein Riesenthema ist). Zu selten ergibt sich aus dem echten Alltag eine Chance zum Erwerb von Wissen, das sich dann noch direkt anwenden lässt. Wobei – dieses possierliche Krabbeltierchen dahinten in der Ecke, könnte das eine dieser neuen giftigen Nosferatuspinnen sein?

Entschuldigen Sie mich, ich muss mich da kurz einlesen. Wenn der nächste Text davon handelt, dass Kevin Bacon nicht nur um sechs Ecken mit halb Hollywood verwandt ist, sondern auch mit jedem beliebigen Insekt, wissen Sie, dass ich wieder Opfer meiner eigenen Lernkurve wurde.

Bis dahin, wunderschönes Wochenende!

Foto: flickr – Mary Helen Cochran Library – CC BY-NC 2.0

2 Kommentare

  1. Sehr nachvollziehbar ;) An Neugier, Lesezeichen und Büchern mangelt es hier auch nicht. „Ich wollte doch immer schon mal…“ ist die neue Flugscham oder so… (naja, vielleicht nicht ganz) vielen Dank, dass du mir zeigst, dass ich damit nicht alleine bin.

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