Kurz dachte ich, wir würden uns beim Haustiererwerb antizyklisch verhalten. Schließlich hatten wir uns tapfer durch die erste, zweite (welche war es nochmal, ich habe den Überblick verloren) Pandemie gekämpft, ohne der Verlockung eines Familienhundes zu erliegen. Aber wie immer, wenn man sich außerhalb eines Trends wähnt, ist man natürlich mittendrin und bekommt schnell vor Augen geführt, dass das vermeintliche Außenstehen nur eine kurze hedonistische Selbstüberhöhung war. Rund um Ostern steigt nämlich der Absatz von Zwergkaninchen in jedem Jahr rasant an, worüber ich schnell freundlich aber bestimmt von der Hasenverkäuferin meines Vertrauens (danke, google) aufgeklärt wurde.
Ich war zu diesem ersten Schnuppertermin zur Hasensuche (see what I did there) bewusst allein erschienen, was ich für klug hielt. So konnte die finale Entscheidung noch einmal in Ruhe überdacht werden, ohne dass man meine Kinder sich bereits unsterblich verliebten. Ich hatte die Kinder ehrlicherweise langsam aber sicher in Richtung Kaninchen gelenkt, weil ich sie für die einfacheren Haustiere hielt. Denn machen wir uns nichts vor, der Großteil der Arbeit würde am Ende doch bei den Erwachsenen landen. Spätestens nach der Recherche des möglichen Lebensalters (acht Jahre) wurde mir klar, dass ich trotz bisher selbstverständlich tadelloser Erziehung meiner Sprösslinge nicht damit rechnen konnte, dass den flauschigen Mitbewohnern langfristig (Hallo Pubertät!) entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt würde.
Ich lief also vermutlich mit einer unguten Aura ein. Tief in mir drin wehrte sich einiges gegen noch ein Kümmerprojekt in meinem Leben. Sich um jemanden zu kümmern, Verantwortung zu übernehmen hat oft einen faden Beigeschmack, ob es nun um – Achtung, inhaltlich großer Bogen, wir nehmen Anlauf – Kleintierhaltung, Kinder kriegen oder Freundesupport geht. Kümmern ist die heiße Kartoffel, die man als moderne Frau lieber schnell weiter wirft. Kümmern ist irgendwie unter unserer Würde, weil man mit unseren Qualifikationen einfach in der gleichen Zeit viel mehr schaffen verdienen könnte, dass wir es lieber outsourcen sollten, wenn wir klug sind – bis auf die gut getimte Quality-Time natürlich.
Ich wollte also eigentlich nur schnell gucken, ob mir alles passte. Nicht vorbereitet war ich auf eine Beurteilung, einen Check meiner Qualitäten als künftige Hasenkümmerin. Schließlich war ich überzeugt, dass es die Hasen bei uns sehr gut haben würden, besser als bei vielen anderen auf jeden Fall. Meine eigenen Ansprüche an die Betüdelung könnte man auch einfach ein bisschen heruntergefahren. Eine unsympathische Sichtweise, ich weiß, vielleicht auch von der Tatsache beeinflusst, dass wir nun auf dem Land leben, wo der Umgang mit Tieren traditionell weniger emotionsbeladen ist. Der ein oder andere Haustierhase hatte hier bereits eine stattliche Liste an Vorgängern, die relativ selbstverständlich vom Fuchs oder Marder geholt werden oder es in der Sonne “nicht geschafft haben”, wie dir eine freundliche Fünfjährige ohne mit der Wimper zu zucken auf Nachfrage erklärt. Wenn das die normalen Hasenbedingungen waren, dachte ich also auf meinem hohen Roß, würde ich so ein bisschen Kümmern locker auf einer Arschbacke absitzen.
Mitten im Gespräch traf mich dann Gott-sei-Dank die ganze Breite der Scham, die ich eigentlich hätte fühlen sollen, als ich bemerkte, dass die Frau tatsächlich überlegte, ob sie mir überhaupt zwei Zwergkaninchen übergeben wollte. Nachdem sie mir erklärt hatte, dass trockenes Brot auf jeden Fall schädlich ist, auch wenn man es früher viel verfüttert hat, hatte mein Gesicht vermutlich die automatische Quatschbehauptung widergespiegelt, die ich kurz gedacht hatte (hat ja früher auch nicht geschadet). Was natürlich wirklich mehr als Quatsch ist und mich auf die Palme bringt, wenn es jemand im Bezug auf Kinder sagt, weil es ja früher den Kaninchen eben nicht gut ging ebenso wie den Kindern und es besser ist, immer, wenn es allen gut geht.
Das Ende der Geschichte ist: Ich habe den Bogen noch bekommen. Seit einem halben Jahr sind die Hasen bei uns. Es hat sich so ziemlich alles bewahrheitet, was ich befürchtete. Die neue Couch ist entweiht, man sammelt ständig (STÄNDIG!11!) Streukrümel in allen Teilen der Wohnung ein, man hat jetzt noch mehr Termine und noch zusätzliche Dinge, die man beim Wocheneinkauf vergessen kann, um sich am Sonntag so richtig darüber zu ärgern (Mama, Papa, Heu und Milch sind wieder alle).
Und trotzdem findet man irgendwie die Zeit. Weil die Zeit sich ja nie irgendwo versteckt hat und gefunden werden muss, sondern immer auf Entscheidungen beruht, für die man dann mit den Konsequenzen lebt.
Und trotzdem liebe ich diese Hasen, wir alle lieben sie, denn Kümmern schafft Verbindung, Kümmern ist irgendwie doch der Sinn des Lebens. Kümmern ist Alltag mit Höhen und Tiefen, Kümmern ist “wir” und ohne “wir” ist jedes “ich” irgendwann ein nichts. Am Ende dieser Woche, die wieder so im Zeichen von Kümmern stand, Kümmern um Busfahrpläne, Schulmaterialien und Familienpläne, die plötzlich wieder enggetaktet sind, musste ich an den Anfang mit den Hasen denken. Und an die Zeit, als die Kinder noch ganz klein waren, an das Zitat von Philippa Perry im Observer Magazine, das mit nicht mehr aus dem Kopf ging:
„I want to tell you from my heart that you truly have both hands full with young children. I have never met anyone cut out for that part, but it is made worthwhile, or perhaps just bearable, if you can see it as an investment of love in their future.“
Am Ende dieser außergewöhnlich intensiven Kümmerwoche, die doch nur eine von vielen ist, am Ende der Tage, wenn man seit langem wieder erschöpft um 21 Uhr einschläft, weil man nicht nur Dinge geordnet hat, sondern auch kleine und große Hände bekümmert und begleitet, am Ende gleite ich, wenn ich ehrlich bin, doch sehr glücklich in den Schlaf.