Hähnchen süß-sauer mit Klebereis und Klebesoße, dick, aber nicht zu flüssig mit unübersehbaren Ananasstückchen – dieses Gericht wird mir wohl auf ewig das Herz aufgehen lassen. Obwohl ich mittlerweile schon viele asiatische Restaurants gesehen habe und auch in ein paar Fusionküchen saß, lande ich sehr oft bei Hähnchen süß-sauer.
Hähnchen süß-sauer ist eine Erinnerung. Eine Erinnerung an die neue Welt der Chinarestaurants, oft in Bahnhofsnähe mit unverkennbar-dunkelrotem Mobiliar. Mit Schnitzereien von Drachen und Aquarien mit Goldfischen mitten im Lokal. Mit vielen Tischen und ich hoffte immer, dass der runde mit der drehbaren Platte frei war.
Sie hielten Ende der Neunziger Einzug in meine Welt und waren der Inbegriff des Essengehens, das vermutlich mit ihnen erst seinen Anfang nahm. Abgesehen von runden Geburtstagen kann ich mich davor nicht wirklich an Restaurantbesuche erinnern. Und dies war ja auch kein Restaurant, wie man es kannte. Hier stand das blau-weiße Geschirr mit dem unbekannten Muster für alle in der Mitte. Man nahm sich von großen Platten und konnte sogar Stäbchen probieren. Es gab Lidschis und gebackene Bananen. Aber auch der Reis, wann aß man den zu Hause schonmal als Beilage außer zu Frikassee? Hier gab es verschiedene Sorten.
Mit jedem Besuch fand sich etwas anderes auf der Karte, das man dann für alle zum Probieren herumgehen ließ. Bei den ersten Malen wurden ausgeklügelte Schlachtpläne erstellt, was jede nehmen sollte, damit möglichst viele Gerichte möglichst viele Münder erreichten. Das ging so lange, bis wir – angekommen in der neuen Weltläufigkeit – als Kenner nur noch mit Nummern bestellten. 6, 15 und die 72 mit Schweinefleisch, ja, wie immer, bitte.
Hähnchen süß-sauer war die Euphorie des Neubeginns, die Faszination, dass die große weite Welt nun tatsächlich vor der Haustür angekommen war. Heute ist es gar nicht mehr so leicht im Restaurant zu bekommen, es findet sich eher als Klassiker im Asiaimbiss. Als wüsste das Gericht selbst, dass seine große Zeit vergangen ist. Lange hat die Euphorie auch nicht gehalten, sie wich erstaunlich schnell einer gewissen Orientierungslosigkeit. Eine bekannte und doch immer noch zu selten wirklich erzählte Geschichte.
Hähnchen süß-sauer wird mir trotzdem vermutlich ein Leben lang Bauch und Herz wärmen. Heute ist es nicht mehr das Versprechen des Neuen oder die Befriedigung sich irgendwann darin souverän zurechtfinden zu können. Es ist eine Erinnerung an Essen, das nicht authentisch oder kompliziert war, um besonders zu sein, Essen, bei dem einfach nur „anders“ reichte. Eine Einfachheit, die man hinein fabuliert in alte Zeiten, obwohl man es besser weiß. Aber wenn man beginnt, die eigenen Gefühle hier zu sehr zu reflektieren, verlieren sie ihre behagliche Sicherheit. Und die kann man brauchen, heute, in den neuen Zeiten, deren Deutung man noch nicht ganz gefunden hat.
Im November schreibe ich über kleine schöne Dinge, weil ich finde, dass unser Alltag gute PR brauchen kann. Mehr dazu hier. Es ging bereits um:
Bild: flickr – JaBB – CC BY-NC-ND 2.0