Es ist kein Geheimnis, dass man oft das haben möchte, was man nicht hat. Ich wollte immer Locken haben. Heute weiß ich, ich wollte nicht Locken an sich, sondern eine bestimmte Art von Locken. Das wurde mir nach einem beiläufigen Satz einer Kollegin klar. Einer Kollegin mit tollen Harren. Wie Keri Russell, als sie noch nicht als russische Spionin arbeitete, sondern bei Bon Jovi auf der Couch schlief.
Vor einer ziemlich wichtigen Präsentation sagte die Kollegin, sie hasse ihre unprofessionellen Haare. Ich stutze.
Im Grunde genommen sind Haare nur tote Zellen.
Tote Zellen, die in verschiedener Dicke, Form und Farbe aus dem Kopf sprießen. Und aus weiteren Körperregionen. Natürlich war mir klar, dass wir Haare mit diversen Bedeutungen aufgeladen haben, je nach Körperstelle, Hautfarbe und Träger*in. Insbesondere bei Frauen.
Bei Männern scheint es mir eher um eine Existenz oder Nichtexistenz zu gehen. Mit zurückgehendem Haaransatz wird gern Bruce Willis zitiert.
Für Frauen kannte ich die farbtechnischen Einordnungen – kühle Blonde, heiße Rothaarige oder – es geht immer noch ein bisschen schlimmer – rassige Dunkelhaarige.
Über die Textur von Haaren hatte ich noch nicht nachgedacht.
Genauso wenig wie über ihre Professionalität. Eine kurze Recherche in den Untiefen der Frauenzeitschriften zeigte, Locken stehen für Jugend und Weiblichkeit. Sie sind wild und anders, mit ihnen hat man einen Look, der casual ist oder messy – also immer ein bisschen durcheinander. Die Hersteller von Stylingprodukten sehen das genauso. Bei ihnen liest man vom „Afro-Look“, der „lässig, frech“ und „cool“ ist, was auf mindestens zwei Ebenen total daneben greift.
Und nicht nach Büro klingt. Erstaunt lese ich weiter: „In Sachen Frisuren fürs Büro gibt es auch einige No-gos, die dringend beachtet werden sollten. Eine wilde Lockenmähne oder stark toupiertes Haar sind im Büro fehl am Platz.“ Wer mit Locken gestraft ist, sollte darauf achten, dass nur „’sauber‘ gelocktes Haar (= ein perfekter Business-Look).“ getragen wird.
Glatte Haare hingegen sind „edel“, „sophisticated“ und – tata- „ein perfekter Office-Look“. Ich habe demnach, ohne es zu wissen, wohl das Glück gehabt, mit professionellen Haaren auf die Welt gekommen zu sein.
Viel häufiger liest man in der einschlägigen Lektüre auch von der Verwandlung von glatt zu lockig als andersherum. Die ist eine gern genommene Abwechslung – „am Abend, zum Weggehen, als entspannter Festivallook“ – und durchweg positiv betextet.
Wenn Frau ihre Haare hingegen glättet (also von lockig zu glatt geht), ist es nicht die Abwechslung, die sie treibt. Sie tritt mutig einem Defizit entgegen., hat zum Beispiel einfach „Keine Lust mehr auf widerspenstige Haare voller Frizz.“
Prompt kommen mir Filme und Serien in den Kopf, in denen sich Protagonistinnen vom hässlichen Entlein zum Schwan entwickeln. Verlässlicher Bestandteil jeder Transformation ist es, widerspenstige Haare in glatte, seidige Exemplare zu verwandeln. Und die Brille durch Kontaktlinsen zu ersetzen. In Plötzlich Prinzessin bricht in Anne Hathaways störrischem Haar sogar der Kamm ab. Und im Folgenden werden ihre Haare dann, zusammen mit ihrem Benehmen, auf Linie gebracht.
Locken, so scheint es, sind immer etwas unfertig, ein work in progress sozusagen.
Ihre positiven Assoziationen, Jugend und Wildheit, sind schön und gut. Aber auch etwas, was man aufzugeben scheint, wenn man erwachsen wird. Oder professionell in Büros arbeitet. Und dann nur noch für die Abendverabredung oder den Festivalbesuch rausholt.
Am Ende ist man als klassische Businessfrau dann in der medialen Repräsentation (und häufig auch im echten Leben) bei etwas angekommen, was aussieht wie die Haare von Maria Furtwängler. Die eigene Identität ist maximal noch eine leichte Innenwelle.
Ganz schön traurig. Denn abgesehen davon, dass die Vermischung von bestimmten äußeren Attributen und professionellem Auftreten sowieso bescheuert ist, schließt diese Einordnung von glatt/seidig/aufgeräumt und lockig/wild/chaotisch/durcheinander viele aus. Wir müssen uns nur umschauen, mit wem wir zusammen leben, um zu wissen, dass es in Zukunft noch viel mehr Ringel, Locken und Korkenzieher geben wird. Wenn wir die Transformation mit Glätteisen und Chemie so positiv belegen, dann sagen wir auch, dass wir es nur aalglatt wollen. In allen Belangen. Dass nur eine bestimmte Art Haare mit den entsprechenden Menschen dran in unsere Büros gehört. Ich lebe lieber in einem Land, indem man sein Ich und seine Haare mit Stolz tragen kann.
Foto: flickr – Shannon – CC by 2.0
Hallo Corinne, ich habe heute deinen Blog entdeckt und mir kam auch das Theme Zuki irgendwie bekannt vor :) Aber ich wollte noch etwas zu dem Thema „Haare“ schreiben. Ich möchte jetzt nicht zu weit ausholen, aber ich gehöre zu der Naturlockenfraktion. Meine Haare verursachen eine große innere Ambivalenz. Einmal mag ich meine Locken und am nächsten Tag werden sie gnadenlos glattgebügelt. Leider funktioniert das Glattbügeln nur mühsam und bei feuchtem Wetter verändert sich die glatte Pracht ruckzuck in strohige Zuckerwatte. Ich ernte viele Komplimente für meine Naturborsten, aber wieviel Mühe und Ärger ich damit habe, versteht nie einer. Ich hätte lieber weiche, seidige und glatte Haare, aber es ist so wie du schreibst: Wer Locken hat, will glatte Haare und umgekehrt. Warum sind wir Frauen nie zufrieden, mit dem was wir haben??? Aber das wäre wohl wieder ein neues Thema.
Viele Grüße
und Kompliment für deinen schönen Blog
Christine alias Hanuki
Danke fürs Lob :-), werde die Tage mal bei dir vorbeischauen.
Es gab Zeiten, in denen ich meine Oma für ein paar Locken verkauft hätte. Alternativ dazu habe ich mir aber eine Dauerwelle nach der anderen machen lassen – mit nur mäßigem Erfolg. Als ich vor ein paar Jahren mitbekam, dass man nun einen „Sleek-Lock“ trägt, habe ich mich gedacht, dass die alle nun spinnen.
Aber wenigstens gehöre ich jetzt zur Moderne! ;-)
LG Sabienes
Da bin ich doch mal wieder froh im ökologisch akademischen Umfeld zu arbeiten in dem es schnurz piep egal ist, welchen Krausheitsgrad die Haare haben und keinerlei Rückschlüsse auf die Professionalität und die Seriosität einer Person anhand dieses Merkmals gezogen werden. Die Wirtschaftsbranche mit Ihren mysteriösen Kleider-, Haar- und sonstigen,teilweisen unausgesprochenen, Vorgaben wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.
Ja, da sehne ich mich auch manchmal wieder hin zurück. Dort, wo ich manchmal sogar den Eindruck hatte, dass „nachlässigere“ Kleidung der Dresscode ist, weil man sich als Intellektueller nicht so ums Aussehen kümmert. :-)
Nun ja, unaufgeräumte, störrische, chaotische Haare zu haben, oder einen unauffälligen, aalglatten, professionell seidigen Haarhelm sein Eigen nennen zu können – da sind die Herausforderungen klar umrissen. Frau bügelt glatt oder lockenwicklert sich zu der Type, die die Laune oder Siuation erfordert.
Nicht so bei mir. Mutter (Natur) hat mir extrem viel superfeines Kerarin aufs Haupt gezaubert, mit Eigenschaften, die man nur als Haarsadismus umschreiben kann:
Es lässt sich von Dauerwellchemie kaum beeindrucken, verwandelt sich aber bei längerer Einwirkzeit in ein Gebilde, das in Aussehen und Konsistenz stark an Edelstahl- Spiraltopfschrubber erinnert. Allein der Gedanke an meinen letzten Versuch, mich auf diese Art aufzuhübschen, treibt mir den Blutdruck in die Höhe.
Aber gänzlich unbehandelt geht auch nicht:
Wenn man es nach dem Waschen nur nachlässig föhnt oder gar lufttrocknet, bilden sich auf der Höhe von Aug und Ohr zwei Henkel, die bei kürzeren Haarschnitten aussehen, als hätte ich das lustige Holländerhütchen von Frau Antje aus der Käsewerbung auf.
Bei längerem Haar wölbt sich die störrische Locke rechts und links immerhin noch so, als hätte ich darunter ein paar prachtvolle Segelohren versteckt.
Der Rest der Haarpracht ist zwar glatt, wirkt aber aufgrund der feinen Haarstruktur immer ungekämmt.
Haarpflegerische Maßnahmen wie gelen, glätten, föhnen, sprayen halten genauso lange wie das Wetter.
Sobald es feucht wird, schlägt Frau Antje wieder durch.
Wie oft habe ich beide beneidet! Die wilde Lockenträgerin, die das Wilde und Unkonventionelle wie einen Heiligenschein mit umgekehrten Vorzeichen trägt, oder Schnittlauchhaarträgerin mit der glatten, braven Optik, die ihr Teufelsseelchen so so wirkungsvoll verbergen kann.
Dass ich trotz meiner Haare ein glückliches Leben führen kann?
Weil es mir, seit ich die Pubertät hinter mir habe, wurst ist. (Meine Tochter, mit dem selben „Problem“ ausgestattet, ist da noch nicht ganz so weit.)
Meine Meinung: Haare sind nur eine Marginalität, auch wenn man viele davon hat. Was in der weiße Substanz hinter der Kopfhaut so abgeht, darauf kommt es an!
Unfrisierte Grüße von Kari
Unfrisierte Grüße zurück und lieben Dank für deinen schönen Kommentar mit privaten Einsichten.
Ich habe Locken und mich immer geärgert, wenn es hieß: „Oh, tolle Haare.“ Wenn ich nämlich diese Komplimente bekam, dann hatte ich ziemlich lange im Bad gestanden. Natürliche Locken sehen eben nicht aus wie künstliche, die werden aber als toll wahrgenommen.