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Kamera läuft! 3…2…1 und keine Action – Was fasziniert an Slow TV?

Als ich heute Morgen noch vor Sonnenaufgang Twitter checkte (Aufmerksame Leserinnen werden nun wissen, dass ich mich in den Internetflitterwochen befinde.), trendete dort Bob Ross, war also eines der meistbenutzten Wörter. Bob Ross, der Kultmaler mit Miniplifrisur. Der Grund? Twitch, eine Platform auf der man sonst anderen beim Computerspielen zuschaut, überträgt alle 403 Folgen des Ross’schen Malkurses The Joy of Painting in endloser Endlosschleife hintereinander. Start war am Freitag, die letzte Folge wird am 6. November laufen. Und Millionen schauen zu, wenn sich pittoreske Schneeszenerien mit erhabenen Bergpanoramen & abgelegenen Bauernhütten paaren …und immer noch irgendwo ein Baum reinpasst. (Bei uns gibt es die Beinahe-Endlosschleife übrigens auf BR alpha, wo zu den verschiedensten Tages- & Nachtzeiten täglich Folgen ausgestrahlt werden.) Was fasziniert so an der Sendung, die nur einen Mann vor Leinwand in dunklem Studio zeigt? Einer Sendung, bei der man als Zuschauerin jeden Pinselstrich begleitet. In Echtzeit. Ross ist als Typ ein Phänomen, seine nasal-beruhigende Stimme wird, so hat eine repräsentative Umfrage im Freundeskreis ergeben, gern als Einschlafhilfe genutzt. Nach einigen Folgen ist man zudem „drin“ & weiß, was kommt. Die Bilder, die Sätze, alles so schön vorhersehbar. So schön aus der Zeit gefallen – gedreht wurde zwischen 1983 und 1994, obwohl Ross Frisur & Ausstattung gern die 70er vorgaukeln. Das sind alles Gründe.

Aber Slow-TV  ist auch das neue Ding im Hier und Jetzt. Bereits 2013 konnte man in Norwegen einen 12-stündigen Strickwettbewerb im TV verfolgen. Richtige Strassenfeger aber, die selbst das Finale von Breaking Brad vor Neid erblassen lassen, waren die Fahrt der Bergenbahn von Bergen nach Oslo & eines Hurtigruten-Kreuzfahrtschiffes. Die Besonderheit all dieser Programme. Kamera läuft! 3…2…1 und keine Action. Abgefilmt wird die pure Fahrt  – Minute für Minute in Echtzeit. Nun mag man anmerken, dass die Norweger vermutlich einfach mit einer längeren Aufmerksamkeitsspanne als andere Europäer oder gar US-Amerikaner gesegnet sind. Gestählt durch das Blicken auf Fjorde & fallende Schneeflocken, also  jahrelanges Training, bringen sie vermutlich einfach die nötige Ruhe für Experimente dieser Art mit.

Vielleicht ist es aber doch mehr? Nach der Zeit der Höher, Schneller, Weiter-Actionfilme & 3D-Exzesse im Kino ist auch Fernsehen nicht zuletzt dank der Streamingportale eine ziemlich hektische Angelegenheit geworden. Je schneller man sich die neue Staffel House of Cards reingezogen hat, um so schneller kann man die Staffeln Good Wife schauen, die noch fehlen, weil man viel zu spät eingestiegen ist & endlich zur letzten aufschließen muss. Und von The Knick gibt es jetzt die erste Staffel auf deutsch, nur 10 Folgen, die sollten an einem Wochenende doch zu schaffen sein.

Wer nicht mehr eine Woche auf die neue Folge der Lieblingsserie warten muss, wird auch ungeduldiger (oder anspruchsvoller?). „Fand ich nicht so gut, dauerte zu lange bis man reinkam.“ höre ich oft als Fazit zu einer Serie. Wer 7 Tage gewartet hat, nimmt – und wenn nur aus purer Not – auch mal eine schlechte Folge oder den gleichen Cliffhanger wie beim letzten Mal nicht ganz so übel. Wer einfach weiter klicken kann, macht das auch. Das Verspechen von Instant Gratification, also sofortiger Bedürfnisbefriedigung, bringt auch die Gefahr von ständiger Ungeduld & Unzufriedenheit mit sich. Zwei Tage zu warten bis die bestellte DVD ankommt oder ohne Taxi-App zu existieren, die genau anzeigt, wann das Auto kommt, scheint eine Zumutung, so Teilnehmer einer 2013er Studie. Das Bedürfnis, sofort zu bekommen, was man will, ist nicht neu. Aber unsere Erwartung, wann es erfüllt sein muss, erhöht sich immer mehr. Wenn ein Video im Netz nicht sofort lädt, so die Forscher, brechen inzwischen 25% bereits nach 5 Sekunden ab. 1…2…3…4…5 – Und, wart ihr auch kurz davor nicht weiter zu lesen?

Was hat das jetzt mit Bob Ross & Slow TV zu tun? Sind wir zu so viel Selbstreflexion fähig, dass wir nun etwas anderes wollen? Funktioniert das langsame Fernsehen so gut, weil es den genauen Gegenpol bildet? Oder ist das Ganze gar eine groß angelegte Umerziehungsmaßnahme? Schließlich engagieren sich öffentlich-rechtliche Sender besonders stark. BBC Four startete im Frühjahr diesen Jahres mit einer stundenlangen Tour durch die britischen Kanäle und Spaziergängen durch die National Gallery. (Lassen sich nicht sogar die Volksmusiksendungen bei ARD & ZDF hier irgendwie einordnen?)

Das Bejubeln eines Richtungswechsels kommt wahrscheinlich zu früh. Auch wenn es 2017 in Norwegen mit einer Woche Non-Stop Rentierwanderung weitergeht. Das mag der Traum aller Entschleuniger sein, begleitet wird das Fernsehevent aber von Onlineangeboten wie den entsprechenden Hashtags. Da sitzen sie dann also, schauen auf die Rentiere & twittern & posten. Denn Ablenkung, so der amerikanische Philosoph Matthew Crawford in einem Artikel zum Thema sei

„in der westlichen Kulturgeschichte traditionell ein Akt der Emanzipation gewesen ist: Uns wurde etwas vorgesetzt, auf das wir uns konzentrieren sollten, aber weil wir frei und unabhängig sind, haben wir einfach was anderes gemacht. Mittlerweile, sagt Crawford, sei der Impuls, sich ablenken zu lassen, aber völlig außer Kontrolle geraten: Heute sei der spontane Ausbruch zu einer Sucht geworden, die jede Situation, die länger als zwanzig Minuten dauert, automatisch wie ein Gefängnis aussehen lässt.“

Zügen, Schiffen & der Entstehung von Bildern zuzuschauen, funktioniert also gut. Wenn man nebenbei noch andere Optionen hat. Wie darüber zu twittern, dass man gerade Bob Ross schaut. Womit wir wieder am Anfang des Posts wären.

6 Kommentare

  1. Daniela Röder sagt

    Ich könnte Bob Ross auch ewig zu schauen. Irgendwie versetzt er mich in eine Art meditativen Flowzustand.
    Im Gegensatz dazu bin ich auch ein Opfer der ständigen Verfügbarkeit der streaming Serien. Ganz schlimm, wenn dann eine ausgeschaut und nichts brauchbares mehr verfügbar ist. Dieses tiefe Loch in das man da fällt …. unglaublich.
    Danke für Deinen mal wieder tollen Artikel zu mal wieder einem außergewöhnlicherem Thema. LG Daniela

  2. Oder man schaut Bob Ross und liest dabei einen Artikel über Bob Ross :)
    Ich muss zugeben, dass ich ihn gar nicht kannte (zu jung?), er mein Herz durch seinen unerschütterlichen Optimismus schon erobert hat. „You don’t make mistakes. These are pretty accidents.“

  3. Bob Ross kenne ich auch :) Einfach grandios, diese Stimme – irgendwie zieht einen das so rein. Es hat was meditatives bei der Entstehung des Bildes (übrigens, nicht mein Geschmack) zuzuschauen.

    Ich kann zum Thema auch den Night Flight auf Deluxe empfehlen. Nachtbilder aus dem Heli und dabei Chillout-Musik, funktioniert auch ganz wunderbar über längere Zeitspannen.

    • Das klingt gut. Die Bilder finde ich übrigens auch nicht so toll. Immer wenn ich denke, jetzt ist es ganz ok, malt er noch irgendwas hin, was es wieder versaut. :-)

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