Es passiert jedes Jahr kurz nach Weihnachten. Es passiert in den sozialen Netzwerken und im realen Leben. Menschen erzählen von ihrem Weihnachtsfest und sie erzählen vom Essen. Sie stöhnen, sie stöhnen sehr laut, sie beschweren sich. Sie sind sich sicher, dass sie bis Silvester eigentlich gar nichts mehr essen müssten. Mindestens. Sie klopfen auf ihre Mini-Bäuchlein und sagen „Heute geht es zum Ultraschall.“ Sie detoxen, sie joggen. Sie sagen: „Jetzt aber wieder auf Linie, jetzt wieder in die Spur.“ Sie meinen, sie haben sich etwas ruiniert: ihre Diät, ihre gesunde Ernährung, ihren sonst von schädlichen Einflüssen freigehaltenen Körper.
Ich bin müde, ich kann es nicht mehr hören. Eigentlich wollte ich einen lustigen Post darüber schreiben, wie ich erstmalig nach Weihnachten wieder eine Hose ohne Gummizug anziehe. Aber es hat mir meinen Humor vertrieben. Denn sie ruinieren sich nur eines, ihr vergangenes Weihnachtsfest. Und meines auch.
Weihnachten. Kekse, Stollen, Ente, Lebkuchen – Butter, Zucker, Fett – wenn es euch wie uns geht, existieren sogar noch die Reste des leckeren Essens in Tupperdosen, verteilt im ganzen Haus. Wie ein Weg aus Brotkrumen direkt in die Fettleibigkeit, würden jetzt vielleicht manche meinen. Aber ich habe nie verstanden, warum man die Freuden der Weihnachtszeit vom Essen in der Weihnachtszeit trennen sollte. Ich habe so viele wunderbare Kindheitserinnerungen an vorweihnachtliches Backen, ich komme aus einer Keksfamilie. Ich sehe wie sehr meine Töchter es lieben. Bei der Vorbereitung des Essens zu helfen, in ihren eigenen kleinen Schüsseln zu rühren, die Finger abzulecken, gemütlich am Tisch zu sitzen, für den Märchenfilm am Abend den Tisch mit Leckereien zu dekorieren („Besser als im Kino.“)
Es mag manche befremden, aber meine liebevoll gehüteten Weihnachtserinnerungen sind Erinnerungen an Familie, Beisammensein und – ja, zu einem großen Teil – an Essen. Wir zelebrieren Essen und wir lieben es. Von der Zubereitung bis zum Verzehr. Wenn wir Stollen und Ente und Lachs und Käseplatten mit Oliven essen, dann schaffen wir uns Erinnerungen in ihrer greifbarsten Art.
Vielleicht gibt es andere Feste und Traditionen, bei denen Essen keine so große Rolle spielt. Aber mal ehrlich, was ist Weihnachten ohne liebevoll zubereitetes Essen, das besonders ist, weil es es sonst eben nicht gibt? Wir füllen unsere Teller um zu feiern, zu entspannen und uns zu erinnern. Ich glaube, das machen nicht wenige genauso. Wieso haben dann so viele das Gefühl, sich im Nachhinein rechtfertigen zu müssen? Das Ganze als unrühmlichen Ausrutscher zu klassifizieren? Ein Selfie aus dem Fitnessstudio zu posten, um der Welt zu zeigen: „Ich weiß, ich habe gesündigt. Ich bereue.“
Ich mag Sport. Es gibt viele Gründe, warum ich ihn mache. Ich mag es, stark zu sein, ich mag Herausforderungen (wenn ich mit dem Fluchen fertig bin), es hilft mir, etwas für mich zu tun, den Kopf frei zu bekommen. Ich mache auch Sport, weil ich gern esse. Weil ich das Gefühl habe, ich tue meinem Körper etwas Gutes. Weil ich weiß, dass es mir hilft, meinen Körper so zu erhalten, wie ich ihn gern hätte, natürlich auch äußerlich. Aber die Idee, dass man all dies wegen einer Entenkeule oder 3 Tagen fröhlichen Schlemmens aufs Spiel setzt, dass man bereuen sollte, ist lächerlich. Und genau das Problem. Wir sollten keinen Ernährungsstil pflegen, keine Diät machen, keiner Sportroutine folgen, wir sollten einfach leben. Wenn Sport dazu gehört, gut. Wenn gutes Essen an Weihnachten dazugehört, herzlichen Glückwunsch.
Wenn ich nach Weihnachten meine Sportklamotten wieder anziehe, dann mache ich das nicht, weil ich mich schuldig fühle (auch wenn meine Umgebung eine Menge dafür tut, dass diese Gedanken kommen). Ich mache es, weil ich mein Leben lebe. Wenn jetzt Menschen schreiben „30 Minuten auf dem Laufband, die Weihnachtstage werden nicht meine Routine ruinieren“ dann frage ich mich, welche Routine wird von ein paar zusätzlichen Plätzchen ruiniert? Das eigene Leben zu leben?
Zu Weihnachten gehört für mich Essen – und zwar nicht das maßvolle, kontrollierte Essen. Es schafft Erinnerungen, es schafft Emotionen. Vielleicht heben jetzt einige den Finger, weil es angeblich gefährlich ist, Essen mit Emotionen zu verbinden. Aber ich bin der Überzeugung, Ehrlichkeit mit sich selbst ist immer der beste Weg. Und wer sich Kekse gönnt ohne nach den Weihnachtstagen zu stöhnen, tut noch ein bisschen mehr. Man erkennt die eigenen Bedürfnisse an. Oder nennen wir es meinetwegen Impulse oder Spaß, Freude – es ist vollkommen in Ordnung, gern zu essen und es zu genießen. Die fehlende Selbstliebe kommt nicht von den zwei zusätzlichen Kilos, sie kommt von den Selbstvorwürfen hinterher. Niemand sollte wegen Lebkuchenmännern die Feiertage mit Angst und Selbstmitleid ausklingen lassen.
Wer mit sich selbst zufrieden sein kann, hat die größte Chance, den Körper zu erreichen, der einem gut tut. Seine Selbstzweifel und Hoffnungen auf Neujahrsvorsätze und „Bikini-Body bis zum Sommer“ zu richten, ist wahrscheinlich das Schlimmste, was man für seinen Körper und seine Psyche tun kann.
Wenn ihr Weihnachten auch kulinarisch genossen habt, genießt es weiter. Wenn ihr ein paar Kilo mehr dadurch habt und ihr sie wieder loswerden wollt, macht es Schritt für Schritt. Habt kein schlechtes Gewissen, denkt nicht an Essen in Kalorienangaben oder Zeiteinheiten auf dem Stepper. Und bitte, bitte, zerstört mir und euch nicht das Weihnachtsfest und die geschaffenen Erinnerungen durch ein schlechtes Gewissen, weil ihr überzeugt seid, dass ihr euch selbst in der Gegenwart von braunem Zucker einfach nicht über den Weg trauen könnt.
Wenn ihr ehrlich zu euch selbst sein könnt, was euer Essen betrifft, anerkennen könnt, dass ihr gern genießt, dass es Spaß gemacht hat, auch einmal über die Strenge zu schlagen, dass es für euch dazugehört, dann kann man Weihnachten inklusive Essen genießen (auch über die Feiertage hinaus) – und zwar ohne die Pläne für die eigene Fitness nachhaltig zerstört zu haben. Und ohne schlechtes Gewissen. Das verspreche ich.
Foto: flickr – Simon – CC by 2.0