Kinder & Küche
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Traumkörper

Morgens – ganz kurz nachdem sie die Augen aufgeschlagen hat – erzählt mir meine Tochter manchmal, was sie geträumt hat. Es passiert nicht jeden Tag. Ich verpasse den Moment oft, weil sie von selbst wach geworden und aufgestanden ist. Aber wenn ich das Kinderzimmer früh genug erreiche, kann ich zusehen, wie sie wach wird. Und dann, halb noch im Schlaf, fängt sie an zu blinzeln und zu lächeln und erzählt, was sie in der Nacht erlebt hat. „Ich habe von meinem Traumkörper geträumt.“ sagte sie heute und vor Verwunderung konnte ich zunächst gar nichts erwidern. „Woher hat sie denn dieses Wort?“ war mein erster Gedanke. Aber da hatte sie schon weitergesprochen: „Mein Traumkörper, Mama, konnte unter Wasser atmen. Ich bin geschwommen und  getaucht und es hat funktioniert.“

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Die Fitnessinstagramerin präsentiert ihre Bauchmuskeln und schreibt darunter: „Wenn du dich motivieren willst, stell dir einfach deinen Traumkörper vor. #determination“

Traumkörper. Was ist das eigentlich für eine Idee in diesem Wort? Gleichzeitig verführerisch und irgendwie lächerlich zugleich. Die Verbindung aus einem nicht greifbaren, vagen Konzept wie Traum mit etwas, das kaum präsenter im Hier und Jetzt, kaum physischer sein könnte, als unser Körper.

Keine Entschlossenheit dieser Welt, denke ich bei mir, wird den Wunsch meiner Tochter ohne Hilfsmittel unter Wasser atmen zu können, erfüllen. Ist der Blick auf die Bauchmuskeln und Beine der Instagramerin nicht das Gleiche? Kein Sportprogramm der Welt wird 1,60 m Frauen in 1,75 m verlängern. Ihre Beine können vielleicht schlanker oder muskulöser werden aber so werden sie nie aussehen. Und egal, was dein Fitnessstudio sagt, meine Sportmedizinerfreundin sagt, der eigene Grundkörperbau lässt sich nicht wirklich ändern.

Natürlich kann sich ein Körper verändern. Das tut er schon von sich aus mit der Zeit. Die Vorstellung, dass wir alle lebenslang nur nach einem einzigen Körper streben sollen, scheint doch eigentlich grotesk. Wo wir doch wissen, mit wie vielen verschiedenen Körpern wir bereits durchs Leben gegangen sind – als wir Mädchen waren, als wir mehr Sport gemacht haben, als wir schwanger waren.

Natürlich können wir stärker und schneller werden, nicht mehr außer Atem kommen, wenn wir dem Bus nachlaufen oder in den 5. Stock sprinten. Aber es ist so individuell, was man von seinem Körper gern hätte, was er zu leisten bereit ist. Egal, wie viel Gemeinschaft uns Motivationsbilder suggerieren. Am Ende ist es ein einsamer Weg, diesen eigenen Körper kennenzulernen. Deshalb ist ein Traumkörper vermutlich genau das, wovon meine Tochter erzählte. Etwas Magisches, Faszinierendes –  aber selten Reales. Und etwas zutiefst Individuelles.

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Wir Erwachsenen träumen von ihm allerdings in anderen Dimensionen. Da ist die Schönheitsdimension, aber da ist auch die Effizienzdimension, überlegte ich heute den Tag über. Eine gut geölte Maschine soll er sein, unser Körper – möglichst fehlerfrei, geschmeidig und leistungsstark. So, dass er vorhersehbar und mit Sicherheit seine Arbeit tut. Ich mag den schönen Körper der Instagramerin wegwischen können, aber irgendwie träume ich trotzdem von   so einem, denke ich bei mir. Von einem, der nicht ernsthaft krank wird, der ohne Probleme altert, der mir mit seiner Körperlichkeit keine Steine in den Weg legt, wenn es um meine Pläne geht.

Das ist ein Körper, den ich kontrollieren will oder der sich selbst ordentlich kontrolliert. Auch das hat etwas mit Disziplin zu tun. Mit einer utopischen Idee. Und feiern wir so nicht auch, was der Körper tun könnte und nicht das, was er einfach ist? Am Ende ist wahrscheinlich nur eines sicher: Wir sind keine Maschinen. Ganz egal, wie nah uns Marathonläufe und Einheiten im Fitnessstudio an diese Idee heranführen. Wir sind verletzlich. Und unser Körper ist es auch. Ein Traum von ihm ist dann genau das. Ein Zustand, der nur in einem flüchtigen Moment entsteht. Kein Normalzustand. Ein Extrem irgendwie. Es hat nur einen kleinen Kindertraum gebraucht für diese Erkenntnis.

Foto: flickr – Jared Tarbell – CC by 2.0

15 Kommentare

  1. Iris sagt

    wow, ein ganz toller Bericht! :-)
    Ein Traumkörper ist tatsächlich eine sehr individuelle Ansichtssache. Wir haben meistens die Topmodels als Vorbild eines Traumkörpers. Dabei müsste man doch einfach den eigenen Körper anschauen und danach entscheiden, wie man „damit“ das Beste herausholen kann…

    Ich habe dazu mal ein E-Book geschrieben.

    • Jaja, endlich mal umgestellt. Ich dachte ja am Anfang, dann kommt keiner auf die Seite und redet mit mir, also muss ich euch sanft zwingen (haha). Hat sich ja aber nicht bewahrheitet. :-)

  2. Daniela R sagt

    Vielen Dank für diesen schönen Text. Genau diese Gedanken beschäftigen mich auch in letzter Zeit. So schön, nun Deine Ideen dazu zu lesen.

  3. Eigentlich schön wie frei und noch nicht so vorbelastet deine Tochter sich einen Traumkörper mit Eigenschaften vorstellt die mit diesen ganzen Instagramerinnern nichts zutun haben. Wer wollte nicht als Kind mal fliegen oder wie ein Delfin schwimmen können? Aber die Medien bekommen es ganz gut mit ihrem verdrehten Frauenbild hin, dass wir den Traumkörper ganz anders bewerten. Aber deine Worte im letzten Absatz sprechen mir am meisten aus der Seele. Nicht krank werden, liebe Menschen nicht verlieren – den Körper debuggen zu können, fragen zu können: woran liegts, dass dir was weh tut? Das wärs. Das würde viele Ängste nehmen, denn der Körper ist so unberechenbar und Gesundheit so kostbar. Dieses Jahr habe ich das in der Familie auf schmerzhafte Weise lernen müssen.

  4. Immer soll man sich das erträumen, was man sich wünscht, damit es am Ende wahr wird. Aber das Schöne an Träumen ist ja, dass sie nicht real sind. Dass man eine Weile in einer Welt leben kann mit dem perfekten Körper, dem perfekten Job, den perfekten Talenten, dem perfekten Mann. Aber am Ende, da will man doch immer wieder aufwachen. Denn dafür sind Träume da: Als kleine Ausflüchte, damit man die Realität mehr wertschätzen kann.

  5. Wiebke sagt

    Kann mich nur anschließen, wieder ein so schöner Text, sie sind immer irgendwie leicht, deine Texte und doch eine Schwere (was null negativ gemeint ist)

  6. Liebe Corinne,
    ein traumhafter Text, und doch ganz real. Wie so oft wenn ich Texte von Dir lese, merke ich wie ich vor mich hin nicke und zwischendurch immer wieder berührt bin von Deiner Art, Dinge zu sehen und zu benennen.

    Viele Grüße an Dich, und Danke für Deine Sicht auf die Welt.

  7. Liebe Corinne,

    ein schöner, nachdenklicher Text. Traumkörper. Ja, was ist das eigentlich? Ein Traumgebilde, etwas nicht Greifbares, etwas zum Drauf-Hinarbeiten. Und in vielen Fällen vermutlich etwas Unerreichbares.
    Ich mag den Traumkörper deiner Tochter. Ihr Traumkörper ist wenigstens nützlich, während ein schlankerer, hübscherer Körper, von dem viele vor allem jüngere Frauen und Mädchen träumen, einfach nur anders aussehen soll. Dabei ist schlank nicht immer auch hübsch, oder gar gesund. Und er macht vor allem längst nicht immer auch glücklich.
    Als ich 17 war, habe ich innerhalb eines halben Jahres fast 10 kg abgenommen. Mein Gewicht schrank von „noch nicht ganz übergewichtig“ auf „noch nicht ganz untergewichtig“, aber glücklich war ich damit auch nicht. Ich war jeden Morgen auf der Waage, und wehe, die Zahl hatte sich wieder nach oben verändert … Selbst Menschen in meinem näheren Umfeld begannen, sich Sorgen um mich zu machen, zu Recht, wie ich inzwischen weiß. Ich war verdammt nah dran, magersüchtig zu werden. Und es war nicht leicht, danach wieder einen entspannten und gesunden Umgang mit meinem Körper zu erlernen. Ich habe nach wie vor keine Waage im Haus. Und es gibt immer noch Momente, da bin ich ehrlich, in denen ich mir einen anderen Körper wünschen würde, aussehenstechnisch. In denen ich unzufrieden bin. Vielleicht versuche ich in Zukunft mal, mir meinen Traumkörper statt mit flacherem Bauch mit coolen Superkräften vorzustellen, scheint mir irgendwie die coolere Alternative zu sein.
    In diesem Sinne,
    Theresa

    • Was für ein schöner, persönlicher Kommentar. Danke dafür! Das ist das Schönste, wenn man das Gefühl bekommt, durch das eigene Schreiben bei anderen so viele Gedanken auszulösen. Ich glaube nicht, dass man seinen Körper immer und ständig lieben kann (da bekomme ich auch nicht hin), dass es quasi ein Weg ist und irgendwann ist man am Ziel und es ist einem alles egal. Dafür liegt viel zu viel Augenmerk auf ihm. Und ich habe auch gedacht, Kinder sagen es manchmal am Schönsten. :-) Lieben Gruß zurück.

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