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Sex in Winterwonderland

Die US-Comsopolitan hat eine interessante Geschichte. In den 60er Jahren hatten sich junge Frauen neue Freiräume erkämpft. Sie hatten Jobs, gaben ihr eigenes Geld aus und hatten vorehelichen Sex. Gut, der wurde nicht erst in den 60ern erfunden, aber in Zusammenhang mit wirtschaftlich unabhängigen jungen Frauen war es schon etwas Neues. Immer noch so neu, dass man in der Öffentlichkeit nicht wirklich darüber sprach. 1962 veröffentlichte die Autorin Helen Hurley Brown (Fun Fact: gerade jungverheiratet) das Buch zum Single-Girls-Having-Fun-Phänomen. Es hieß Sex and the Single Girl, wurde ein Bestseller und Helen mit Leserinnenbriefen überschüttet.

Zur gleichen Zeit suchte man bei Hearst Verlag eine neue Chefredakteurin für eine Publikation, die man eigentlich schon einstellen wollte. Helen bekam den Job (Frauen werden in Krisenzeiten ja bis heute gern eingestellt um es zu richten.) und machte die Cosmopolitan, deren Chefredakteurin sie 32 Jahre lang bleiben sollte, zu der Zeitschrift für die neuen jungen Frauen. (Zuerst stellte sie übrigens erstmal ein paar Frauen ein. Die alte Cosmopolitan wurde nämlich weitestgehend von Männern geschrieben.)

Die Arbeitswelt wurde, auch das war neu für eine Frauenzeitschrift, in der Cosmopolitan ein Dreh- und Angelpunkt im Leben von Frauen. Häuslichkeit räumte sie kaum Platz ein. Keine Dekotipps, keine Rezepte, keine hübschen Bilder von schönen Wohnungen. Klar, ein wenig waberte immer zwischen den Zeilen, ob die Berufstätigkeit bleiben würde, wenn der Richtige gefunden war. Denn die Leserin war dem Verständnis nach Single und auf der Suche. Aber die Zeitschrift leistete trotzdem Pionierarbeit, indem sie Frauen selbstverständlich in Jobs zeigte, die über den stereotypen der Sekretärin hinausgingen (1967 berichtete sie zum Beispiel über Programmiererinnen und interviewte Grace Hopper.) Außerdem gab es Artikel zur Pille, Dating oder außerehelichem Sex.

Jaja, der Sex. Der kam von nun an immer mit mindestens einer Schlagzeile auf die Titelseite und war so in jedem Gemischtwarenladen mit Zeitschriftenauslage sichtbar. Es ging nur um Sex mit Männern (ja) und auch um deren Befriedigung (jaja). Aber eben auch um die Lust der Frauen.

Natürlich war die Cosmopolitan schon immer die Disney-Fee unter den Frauenzeitschriften. „Märchen können wahr werden.“ versprach sie, erfolgreich sein und super Sex – alles geht zusammen. Aber sie war auch revolutionär darin, dass sie Frauen ein erfüllendes Sexleben zubilligte. Und ein Bedürfnis danach – nach Spaß, nach Orgasmen. Heute ist die US-Version (inklusive Internetseite, wo man sich noch ein bisschen mehr traut) immer noch lesenswert, wenn man Frauenzeitschriften lesen mag. Zum Beispiel auch, weil man 2014 mit Jill Filipovic eine feministische Bloggerin (vom Onlinemagazin Feministe) verpflichtete. Man könnte der Cosmopolitan in Zeiten des Popfeminismus also auch das F-Wort ankleben.

***

Warum ich so weit aushole? Nun, die deutsche Cosmopolitan fühlte sich dieser Tradition noch nie wirklich verpflichtet. Sex-Tipps gab es hier natürlich auch immer auf dem Titel. Aber die waren irgendwie immer mehr wie Beate-Uhse-Katalog-ganz-unten-im-Zeitschriftenstapel-verstecken.

Und jetzt, hat man sich von weiblicher Lust und Spaß am Sex anscheinend komplett verabschiedet. Die deutsche Cosmopolitan ist nämlich im Effizienzeitalter angekommen. Bereits in der Oktoberausgabe versprach sie „Wie Sex unseren Alltag, Karriere und Kontostand regelt“. Fünf ganze Seiten erklärten, dass Sex schöner (200 Kalorien pro Geschlechtsakt – Da wäre ein halber Muffin oder ein Teelöffel Erdnussbutter wieder ausgeschwitzt, beeindruckend.) stressresistenter, selbstbewusster („Es gibt in jedem Büro diese unglaubliche Kollegin, die mit ihrer Coolness und Präsenz jeden Raum füllt. Jede kann diese Frau werden – mit Geschlechtsverkehr.“) und motivierter im Job macht.

„Poppen gegen Lampenfieber“ wird vor Präsentation empfohlen („eine genial easy Methode“). Und beim nächsten Wutausbruch des Chefs (der ist natürlich männlich) einfach „nicken, lächeln und an den Sex von gestern Abend denken.“ (Weswegen man vermutlich jeden Abend schon mal prophylaktisch loslegen sollte.)

Nirgendwo, wirklich nirgendwo steht dort etwas von Spaß.

Jetzt, zum Fest der Liebe setzt die Cosmo in der Dezemberausgabe noch einen drauf. Irgendwie auch logisch, denn weil die Meisten über Weihnachten nicht arbeiten, fehlt es ja an Gründen für Sex. Die Akkus müssen aber trotzdem für die optimale Performance im Wirtschaftskreislauf aufgeladen werden. Da können sich die unter uns glücklich schätzen, die unter Rückenschmerzen oder Migräne leiden. Denn „Dr. Sex“ zaubert auch Schmerzen  zuverlässig weg. (Und Kopfschmerzen sind keine Ausrede mehr. Weil, wir erinnern uns, Frauen ja immer passiv sind und zum Sex überredet werden müssen.)

Auf vier Seiten bekommen wir im Dezemberheft als zusätzliches Goodie dann noch geniale Sexstellungen für Faule erklärt. Wenn wir eigentlich keinen Bock haben. Aber „Zu müde? Zu gestresst? Alles keine Gründe mehr, um aufs Vögeln zu verzichten.“ Und wer es jetzt noch nicht begriffen hat (Beine breit in jeder Lebenslage, Mädels – wird schon was Gutes bei rumkommen), bekommt noch ein paar schöne Expertinnenmeinungen geliefert. („Wer viel Sex hat, hat mehr Lust auf Sex.“ Aha.)

Ich fasse kurz zusammen: Frauen haben Sex, um sich wieder fit für die Arbeitswelt zu machen, die sie vorher zuverlässig ausgelaugt hat. Zu diesem Sex muss man sie aber mit guten Argumenten (Geldersparnis wegen geringerem Verbrauch an Kopfschmerztabletten oder garantierte Knallerpräsentation im nächsten Meeting) zwingen – äh – überreden . Da stellt sich mir nur noch eine Frage, bevor ich „Gute Nacht“ sage: Ob das bei Helen 1965 so durchgegangen wäre? Eine Frage – und eine Feststellung: Tut es oder tut es nicht. Aber tut es für euch.

15 Kommentare

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  2. Lydia sagt

    Hi Corinne,

    vielen vielen Dank für diesen Artikel. Du schreibst von einigen Sachen, die mir schon seit Jahren ein Dorn im Auge sind. Denn alle Zeitschriften, Magazine, Medien etc. die nach eigener Aussage Vorreiter im Bereich der Emanzipation und des Feminismus sind, machen sich mit diesem Verhalten doch ein Stückweit lächerlich.

    Es scheint mir so, als ob ALLE Frauen-Publikationen sich in erster Linie damit beschäftigen, ihrer Leserschaft eine gewisse Richtung vorzugeben, wenn es darum geht, was denn das Coolste/Schönste/Sexieste/Beste oder wie auch immer ist. Dass jeder diese Konzepte für sich selber entdecken und entwickeln muss, liest man da auch nicht..

    Speziell im Bereich Sex ist das natürlich noch heikler, da die moderne weibliche Sexualität ja von allen Seiten unter Bombardement steht, von konservativer „Alte-Weiße-Männer-Politik“, die Urteile über den Uterus einer Frau sprechen bis zu Darstellungen der Weiblichkeit in TV und Kino.

    Danke dass du das so treffend artikulierst, hoffentlich behältst du die Lage im Auge!

    Liebstes
    Lydia

    • Danke für deinen Kommentar, freut mich, dass du Dinge wieder findest. Ja, das ist u.A. die Idee hinter dem Blog hier, dass ich immer mal „aber“ sage. 😉

  3. Jo. Was will frau da sagen. Sie muss sich ja fit halten im Wettbewerb der Selbstausbeutung, da ist ein bisschen therapeutischer Sex vielleicht ganz hilfreich.

  4. Interessanter Text. Kann aber nicht viel dazu sagen. Bin nämlich ein Mann. 25 Jahre alt und Jungfrau und karrieremäßig … Keine Karriere je gewesen.
    Und bei den Männern ist es das Gegenteil: habe kein Sex, denn das stärkt Mentalität für Karriere und Leben.

  5. Was für eine traurige Entwicklung…

    Ich beschäftige mich ja nicht so mit Zeitschriften, für die man Geld zahlen muss, aber auch im Internet ist mir dieses Phänomen, dass alles nur noch wirtschaftliche Gründe haben muss und der Spaß egal ist, in letzter Zeit verstärkt aufgefallen.
    Wer startet endlich eine Gegenbewegung?

    Liebe Grüße

    • Danke für deinen Kommentar 💕. Ja, es ist noch ganz schön viel Quatsch zwischen den Seiten. Auch wenn ich sagen würde, dass es sich gebessert hat in den über zwei Jahren, in denen ich jetzt hier schreibe. Vielleicht gibt es Hoffnung.

  6. Seufz. Doppelseufz. Ach was, Doppelseufz hoch zwei. Wenn ich mich so umschaue, dann befürche ich, dass dieses Geschreibsel am Ende avantgardistisch und zukunftsweisend sein könnte. In ein paar Jahren werden sich wohl manche ernsthaft Gedanken machen, ob wir Frauen überhaupt weiter wählen dürfen – so recht bewährt hat sich das ja nicht. Und dann ist es doch gut, wenn wir endlich wissen, wie man die Kerle bei der Stange hält, damit wir für den Haushalt fit bleiben.
    Doppelseufz …

    • Ja, es sieht alles ein bisschen düster aus. Aber ich kratze da Optimismus zusammen, denn es gibt ja, das weiß ich nicht nur über den Blog 😉, genug kluge Frauen, die sich einer Rückwärtsbewegung entgegen stellen können. Und vielleicht ist es am Ende sogar eine heilsame Erfahrung, dass Feminismus nicht bereits überall ist und alle knechtet, sondern dringender gebrauchst wird als bisher.

    • Ich seufze erneut. Und habe vor Augen, wieviele Frauen im näheren und weiteren, analogen wie digitalen Umfeld schon alleine darauf beharren, keine Feministin zu sein. Weil diese seit Jahrzehnten beschworene innewohnende Männerfeindlichkeit ja nix für sie seien und sie sich ja auch gerne einmal zurecht machen …
      Auch, dass „der Feminismus“ – also den, den man online wahrnimmt – sich so sehr in verkopfte Diskussionen verrannt zu haben meint, der alleine auf Akademikerinnen und Frauen mit Karrierewünschen abzuzielen scheint – das macht es unglaublich vielen Frauen leicht, nix damit zu tun haben zu wollen. Dass Feminismus schlicht und einfach gleiche Rechte für beide Geschlechter will und dass ohne ihn Frauen nach wie vor mit (also beispielsweise) falschen Medikationen behandelt werden, weil alle Tablettchen und Säftchen fast nur an jungen, gesunden Männern getestet werden, dass ohne ihn wir alle es hinnehmen, wenn Frauen als Mütter keinen Fuß in ihrer Firma mehr auf den Boden bekommen oder keine Wahl der Geburtsart mehr haben werden oder ihr Kind nur noch auf versifften Toiletten stillen werden – DAS verstehen sehr viele nicht und da sehe ich eben nur eine kleine Menge an Frauen, die sich eloquent und entschieden gegen die wachsende Misogynie stellen könnten.
      Ich möchte dir gar nicht alles hier vollschreiben; ich bin so pessimistisch wie noch nie und erkenne so viele Zeichen für jegliche Form von Katastrophe, dass ich nachts nur noch schlecht schlafe. Aber damit komme ich komplett von deinem hier gewählten Thema weg, das ist nicht fair.

    • Ich verstehe dich sehr gut, bei mir ist es gerade anders. Ich merke, wie viele merken, dass es sie doch betrifft. Vermeide aber sehr oft das Wort „Feminismus“ muss ich zugeben.

    • :-D Das ist ja auch das böse Wort :-D Wenn ich mit den eher ablehnenden einige Minuten später über grundsätzliche Positionen spreche und dabei eine Übereinkunft erziele, dann neige ich schon einmal dazu, der Betreffenden das böse Wort an Kopf zu werfen: „Ha, du bist ja so eine radikale Feministin!“ „Wer, ich? Wie? Echt? Achso, ok. Naja dann …“ :-D
      Schön zu hören, dass manche hoffnungsfroher in die Zukunft schauen :-) Vielleicht bin ich einfach zu alt und zu enttäuscht – jetzt noch immer nach dem fragen zu müssen, was wir schon in den 80ern hatten erreichen wollen, ist ein klitzekleines bißchen frustrierend …

    • Ich halte es tatsächlich für ein großes Problem, dass das, was die mediale Berichterstattung an Feminismus-Themen ins Bewußtsein der Öffentlichkeit spült, recht oft first-world-Luxus-akademischer-Nabelschau-Feminismus ist. Und der macht selbst mich, die ich mich als Feministin bezeichne, mittlerweile ungeduldig, weil er sich eben an solchen Minderheitenpositionen abarbeitet, ohne die realen Probleme große Gruppen von Frauen überhaupt wahrzunehmen.
      Aber je mieser die Zeiten für Frauen werden, desto mehr werden wohl real world problems inden Fokus rücken. Naja, ich gebe zu, diese Sichtweise ist wohl mehr der herannahende Zug als das Licht am Ende des Tunnels.
      Ich frage mich manchmal, ob in Geschichtsbüchern in ein paar hundert Jahren nicht dieFreiheit der Frauen in westlichen Industrieländern in der 2. Hälfte des 20./1. Hälfte des 21. Jhdts. nicht als große Anormalität besprochen werden wird. (Die, man muss es so sagen, auch nur für einen Teil der Frauen überhaupt möglich war.)

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