Vor einiger Zeit las ich einen Text von einer Autorin, die eigentlich nur ein neues Parfum kaufen wollte. Man empfahl ihr im Laden ungefragt auch ein Anti-Aging-Produkt. Die Autorin war 23. Sie fand es völlig zu recht absurd, dass sie – quasi gerade erst der Clearasilwerbung entwachsen – als nächstes geradewegs die Falten-Vermeidungs-Ware kaufen sollte. „So’n Quatsch“, schrieb sie, „braucht kein Mensch“. Älter werden ist schließlich kein Problem, sondern völlig normal. Und aufgeklärte, selbstbewusste Frauen lassen sich schon gar nicht unsicher machen und für dumm verkaufen. Damit war die Sache für die Autorin erledigt. Solche Texte sind gut und richtig und wichtig. Ich habe selbst ein paar davon geschrieben. Aber es war leichter, sie mit 23 zu schreiben.
Ich weiß nicht mehr genau, wann es begann. Aber irgendwann waren die Kissenfalten auch Stunden nach dem Aufstehen noch da. An manchen Tagen blicken sie mir noch auf dem Weg zur Mittagspause vom Fahrstuhlspiegel aus entgegen. Auf meiner Stirn hat sich eine Runzelfalte festgesetzt, die wohl bezeugt, dass ich viel öfter angestrengt nachdenke, als zu lachen. An meinem Körper gibt es Teile, die lassen sich ziemlich hängen. Und ich habe wenig Hoffnung, dass sie sich noch einmal zusammenreißen. Mein nächster runder Geburtstag wird eine „4“ auf dem Kuchen haben. Ganz vorn steht die dann.
Ich habe immer noch, genauso wie mein 23jähriges Ich, Trockenshampoo auf Lager und wickele die Haare an bestimmten Tagen mit Vorliebe zum Dutt, um das Kämmen zu vermeiden. Ich verstehe immer noch nicht ganz, wieso man sich die Zähne aufhellt oder Hyaluron-Cremes für 70 Euro braucht. Ich trage gern Sport-BHs, weil ich sie bequem finde. Aber ich verlasse auch das Haus immer häufiger mit Concealer. Ich creme jetzt. Das muss ich zugeben. Und ein Gedanke drängt sich mir auf: War meine Entspanntheit dem eigenen Äußeren gegenüber vielleicht einfach nur ein schönes Privileg, weil ich damals eben nichts davon brauchte, mit 23?
Ich ertappe mich dabei, wie sich meine Unterlippe vor Anspannung kräuselt (und meine Runzelfalte noch tiefer wird), wenn ich im Spiegel konzentriert schaue, ob dies ein graues Haar ist. Wenn ich eines finde, will ich es herausziehen und möglichst schnell verschwinden lassen. Was ist es schließlich mehr als ein sehr greifbares Zeichen meines körperlichen Verfalls? Und dann denke ich an die Haarlocken, die manche von den ersten Haarschnitten ihrer Kinder aufheben. Man legt sie in hübsche kleine Boxen, aber nie würde uns das mit unseren ersten grauen Haaren einfallen.
Es ist nicht so, als hätte mich jemand in kaltes Wasser getunkt und beim Auftauchen wäre mir die eigene Vergänglichkeit schlagartig bewusst geworden. Das Ganze geschieht langsamer, subtiler. Und irgendwann gibt es dann eben ein paar Dinge, die dir verlässlich jeden Tag deutlich machen, dass du nicht immun gegen den Lauf der Zeit bist. (Und wenn es nur die eigenen, viel zu schnell wachsenden, Kinder sind.)
Es ist nicht so, als hätte jetzt eine Spirale nach unten eingesetzt. Aber ich bin sehr wahrscheinlich nicht mehr ganz jung. Ich bin definitiv nicht mehr 23. Das klingt jetzt melancholischer als es gedacht ist. Aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich bisher an das Altern eher in einem abstrakten Sinn gedacht. Ich dachte, es wäre etwas, womit ich selbstverständlich umgehen würde. Etwas, das ich problemlos annehmen würde, sobald mein Lächeln (oder das Nachdenken oder die Schwerkraft) die ersten Falten offenlegt. Ich dachte, wenn ich an Stellen zulege, die mir nicht gefallen, würde ich coole weite Leinensachen tragen wie Barbara Streisand in „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“. Und ich würde nicht fanatisch jedes schwarze Haar am Kinn mit der Pinzette jagen. Ich dachte, ich würde so eine ältere Frau sein, die jeden Morgen im Berliner Teufelssee (der mit dem Nacktbadebereich) ihre Runden dreht. Die fröhlich auf dem Fahrrad angeradelt kommt, sich auszieht als ginge es unter die Dusche und dann wieder von dannen radelt. Zufrieden und in sich ruhend.
Die Sache ist aber so. Es ist ziemlich einfach, das zu romantisieren, wenn man denkt, dass nicht nur dieses Alter noch eine ganze lange Weile hin sei, sondern auch seine ersten Anzeichen. Man kann sich leichter ausmalen, wie man sich fühlen wird, bevor das Gesicht langsam nach unten fällt und man immer häufiger gefragt wird, wieso man so böse schaut. Und dann liest man plötzlich doch die Antifaltenanzeigen und bei den Werbespots für Haarfärbemittel geht es nicht mehr nur ums fröhliche Experimentieren mit Farben. Werde ich jetzt zu der Frau, von der erwartet wird, in Zukunft die Abende mit Plastikhandschuhen und Farbtuben zu verbringen? Wie viele Stunden meines Lebens werde ich nun cremen und auf das Einwirken der Farbe warten? Und das Schlimmste an der Sache, das Ganze ist nicht so oberflächlich und äußerlich, wie es mir mit 23 schien. Meine Falten sind auch Anzeichen dafür, dass tatsächlich etwas vergeht. Dass sich auch in mir drin etwas verändert, meine eigene Vergänglichkeit wird mir bewusst.
Und jetzt? Ich glaube, wir sollten in jedem Alter versuchen, selbstbewusst unsere eigene Schönheitsgeschichte zu schreiben. Unabhängig von den Versprechungen, Verlockungen und vor allem Zweifeln, die Kosmetikindustrie und Werbung in uns setzen. Aber diese Schönheitsgeschichte ist eben auch nie zu Ende, wir schreiben ständig an ihr weiter. Das jetzt, das bin auch ich. Und mir wird eines sehr bewusst. Die Texte mit 23 waren gut und richtig und wichtig. Aber ich glaube, jetzt zählt es wirklich. Altern an sich ist kein rebellischer Akt, keine wohldurchdachte Ablehnung der medialen Zerrbilder, wie eine attraktive Frau auszusehen hat. Es ist einfach unvermeidlich. Vermeidlich ist aber auch, sich selbst zu verlieren. Daran glaube ich immer noch. Man selbst zu bleiben, auch angesichts des immer präsenten Rauschens, mal lauter, mal leiser, was uns zuflüstert, wie wir sein sollten und sein könnten, das ist das Schwierige. Das Rauschen, in dem nicht nur die äußerlichen Anzeichen des Alters zu hören sind, sondern auch die ganzen Annahmen, die sonst mitschwingen. Dass die meisten Frauen, wenn sie älter werden, quasi zwangsläufig weniger ambitioniert und sichtbar sind. Welche Frau hat sich mit 50 nochmal neu erfunden?
Es war einfacher mit 23 Texte darüber zu schreiben, das Alles einfach zu überhören. Ich habe den Verdacht, die richtige Arbeit geht jetzt erst los.
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