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#6 Löschen, lesen, löschen, lesen – Unbeschrieben-Podcast

Löschen, lesen, löschen lesen: der Name dieser Folge ist wirklich Programm. Was passiert, wenn man eigentlich dachte, das Manuskript fertig zu haben und dann nochmal richtig Arbeit auf einen zukommt… Und wie bekomme ich meine Ungeduld in den Griff, weil ich doch endlich, endlich will, dass das Buch gelesen werden kann. Ihr erfahrt es, in dieser Folge. Zum Abschluss kochen wir dann noch berufstätige Mütter weich und ich bitte um eure Fragen an mich für die nächste Folge.

Viel Spaß beim Hören, das Buch „Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne“ könnt ihr z.B. hier vorbestellen. Und ich freue mich wie immer über Kommentare, Sterne und Rezensionen auf iTunes und überhaupt eure Meinung.

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Foto: flickr – Matt McGee – CC by 2.0

Gastbeitrag: Szenen einer Ehe oder Fightclub

Als dieser Gastbeitrag zu mir flatterte, ging es mir bei der Lektüre ungefähr so: lesen, stutzen, lesen, stutzen, lesen, ah, wie cool. Genau deshalb mochte ich ihn so gern. Er zwang mich nämlich, die Verwirrung auszuhalten. Und er appellierte an meine Liebe zu Ironie und Sarkasmus, die ja angeblich im Internet gar nicht funktioniert. Was natürlich überhaupt nicht stimmt. Also, ohne weitere Vorrede, viel Spaß beim Lesen.

Mein Mann und ich, wir schlagen uns. Das war natürlich meine Idee. (Ich find ja, die guten kommen meistens von mir). Ich bin auch diejenige, die die Regeln für unsere Schlägereien festgelegt hat. Freestyle geht natürlich nicht, weil, wenn er immer gewinnt, ist es ja blöd. Und leider sind die Männer uns Frauen körperlich überlegen. Immer noch. Obwohl das nur erfunden wurde, damit sie besser jagen können. Damals, als sie uns noch ernähren mussten.
Heute jagt natürlich kein Mann mehr irgendeinem Schnitzel oder so hinterher. Unser Essen, das holen wir gewaltfrei und unabhängig vom Geschlecht aus dem Supermarkt. Weiss doch jedes Kind.

Die Evolution hat uns da ein Ei gelegt. Und wir Frauen haben jetzt den ganzen Stress damit. Also die ganze Emanzipation und den Scheiß. (Google sagt: Emanzipation stammt von dem lateinischen emancipatio, was „die Freilassung des Sklaven“ bedeutet). Ich sage, die Evolution ist von den jüngsten Entwicklungen völlig überrannt worden.

Wer noch mehr Lust auf kluge Alltagsbeobachtungen mit dem gewissen Etwas hat, besucht Mareile am besten auf ihrem eigenen Blog. Dort schreibt die „Traumexpertin, Streettalkerin, ICE-Nomadin, Freundin von Vielem, Schauspielerin, Frau von einem Mann, Mutter von zwei Söhnen“ (Selbstbeschreibung) mit Liebe zur Sprache und zum Leben wunderbare kurze und lange Texte.

Jetzt sind wir Sklavinnen nun mal von der Kette, da haben wir keine Lust, sofort wieder irgendwelche faulen Eier auszubrüten. Und auf die Männer brauchen wir gar nicht warten, die stehen immer noch dumm rum und lehnen größtenteils alle nötigen Entwicklungsschritte ab wie z. B. abspülen. Es is ja so banal, letztendlich. Abspülen wäre für viele Männer ein notwendiger Entwicklungsschritt. Wollen die aber viel zu selten. Nach wie vor. Oder bügeln. Nur weil sie aus einem evolutionären Versäumnis heraus immer noch eine gewisse körperliche Überlegenheit empfinden, bügeln die einfach nicht. Lieber würden die mit völlig zerknitterten Klamotten aus dem Haus gehen. Das ist doch Scheiße, dass wir Frauen uns total emanzipieren und die Männer gucken einfach zu. In zerknitterten Klamotten. Wegen dem bisschen Muskelmasse, das da aus Versehen noch an dem ein oder anderen dran hängen geblieben ist?

An dieser Stelle kommt die Prügelei ins Spiel. Im Grunde ist es nichts anderes als Verhaltenstherapie in der Praxis. Diese ganzen Gespräche, diese endlosen Emanzipationsdiskussionen führen doch zu nix. Da stauen sich dann nur Aggressionen an, die sich an falscher Stelle entladen. Mir hat das wirklich wahnsinnig geholfen, mal inne zu halten und sich Zeit für eine anständige Schlägerei zu nehmen. Nach vorher definierten Regeln, das sagte ich ja schon. Wir halten es so fightclubmäßig. Treffen uns, wenn die Kinder schlafen und legen los. Arbeiten ab, was sich angestaut hat: Wer steht morgen früh mit den Kindern auf? Du? Ich? Ohrfeige, Kinnhaken, Tritt vors Schienbein, der Getretene fällt aus, weil: Kann nicht mehr laufen. Sache geklärt.

Wer macht heute die Küche? Kopfnuss, Arschtritt, Drehkick auf Kehlkopf, Krankenwagen, Diskussion beendet.

Wer ist eigentlich mit Staubsaugen dran? Nasenstüber, Hodenquetscher, Fußfeger, Tiefschlag, Flankenhieb aus Hinterhalt, Blut spritzt, Knochen fliegen: „OK. Ich sauge, du wischst die Sauerei vom Boden“. Totale Gerechtigkeit.

Das Ganze hat nur einen klitzekleinen Haken. Und zwar geht es da um die Regel. Die von mir aufgestellte. Mir ist leider nix besseres eingefallen, als eine schlichte 1:2 Regel. Auf jeden seiner Schläge bekommt er zwei von mir. Weil, doppelt so doll hauen, haut ja schlecht hin. Ich haue ja schon so doll ich kann. Leider ist er trotzdem stärker. Tatsache. Und für ihn wäre der halbe Krafteinsatz pro Schlag ja auch emotional unbefriedigend. Das verstehe ich. Leider bedeutet das, dass schon wieder ich die doppelte Arbeit habe. Tja. Man weiß ja angeblich nicht, was zuerst da war: die Henne oder das Ei. Aber ausgebrütet hat sie es wohl ganz sicher. Zeit, der Evolution mal ordentlich einzuheizen. Sie hat da einen grundsätzlichen Systemfehler reingebaut, in das Modell Mann/Frau. Ein paar Backpfeifen hat sie sich dafür echt verdient.

P.S. Ihr verliert kein Wort über diesen Artikel.

P.P.S.S. Ihr verliert kein Wort über diesen Artikel. Und jetzt: Alles klar für die Evakuierung der Seele! Haut rein!

Foto: flickr – Jess – CC by 2.0

Ich mag den Muttertag

Morgen werden mich kleine Arme umarmen und mir dicke, feuchte Küsse aufdrücken. Ich werde ein selbstgemachtes Bild von einem Blumenstrauß bekommen. Ganz kleine zusammengeknüllte Seidenpapierkugeln wurden aufgeklebt und bilden den Blumenstrauß. Es sind sehr viele kleine Kugeln. Ich weiß, wie lange das gedauert haben muss, bis aus den Kugeln der Strauß wurde. Und wie ab und zu die Konzentration meines Kindes verloren gegangen sein wird. Aber ich weiß von der Person, die ihr dabei geholfen hat, dass es sich nicht hat ablenken lassen. Weil sie dieses Geschenk für ihre Mama unbedingt fertig machen wollte. Mein Mann wird mir einen Kuss aufdrücken und „Danke“ sagen. Einen Kuss, der ein wenig länger dauert als sonst, wenn der Alltag oft nur Aneinandervorbeigehusche für uns bereithält. Wir werden uns anblicken und uns verschwörerisch anlächeln wegen des ganzen Wahnsinns, den wir hier jeden Tag wuppen. Meine 75jährige Nachbarin ist morgen nicht da, aber hat mir schon Pralinen vorbei gebracht. Ich mag Pralinen nicht besonders, aber ich habe mich trotzdem gefreut.

Morgen ist Muttertag. Ich bin gern Mutter und ich mag den Muttertag. Ich freue mich über die Anerkennung dessen, was ich als Mutter leiste. Oft genug bekomme ich ausweichende, irritierte oder böse Blicke, wenn meine Kinder vermeintlich öffentliche Abläufe stören. Ich finde es schön, wenn die Menschen einmal im Jahr inne halten und überlegen, was Mütter leisten und was für ein Geschenk Kinder sind. Ich freue mich über das Privileg Mutter sein zu dürfen. Ich denke an die Bekannten, an die Freundinnen, an die Frauen, die ich kenne, die nicht Mutter werden können. Bei denen es aus verschiedensten Gründen ein unerfüllter Wunsch bleiben wird. Ich denke an die Frauen in der Geschichte, in anderen Teilen der Welt, denen Kinder entrissen wurden, die man zwangssterilisiert hat oder denen Mutterschaft so zur Last wird, dass es ihnen verwehrt ist, sie so genießen zu können wie ich. Ich finde es schön, wenn die Menschen morgen Fotos von ihren Müttern in die sozialen Netzwerke spülen, wenn sie wieder einmal anrufen.

Es gibt Tage für dieses und Tage für jenes, Tage mit fragwürdiger historischer Entstehungsgeschichte. Für vieles gibt es noch keine Tage, für Überflüssiges vielleicht zu viele. Zum Muttertag will man mir in der Werbung mal wieder den Augenbrauenstyler verkaufen, den ich auch für die Bikinizone benutzen kann. Aber das war am Valentinstag auch so. Überall ist Emotionalität und Mutterliebe. Die Väter fehlen oft ganz. Und keiner packt mir einen Kinderbetreuungsplatz oder einen Rentenbescheid mit der doppelten Summe ein. Das ist doof. Aber darüber werde ich mich an den anderen 364 Tagen im Jahr ärgern. Und bevor der Kommentar kommt: Fände ich es nicht besser, wenn man, statt nur an einem Tag, einfach jeden Tag im Jahr Mütter und Frauen und Väter und Männer und überhaupt alle Menschen ohne Vorbehalte wertschätzen würde? Klar. Weltfrieden und endlich Sommer da draußen fände ich auch besser.

Vor einiger Zeit schrieb mir jemand, wieso in allen meinen Social Media – Profilen „Mom“ steht. Ob denn die Bezeichung Mutter meine Persönlichkeit definieren würde, so an vordester Stelle? Die Antwort ist einfach: „Ja, das tut sie.“ Und das tut sie sogar anders als bei meinen Mann. Auch, weil ich diese Kinder neun Monate im Bauch trug und geboren habe. Das Schöne ist aber, sie schließt auch nichts anderes aus. Für mich zumindest nicht. Natürlich bekomme ich mit der (Selbst-)bezeichnung „Mutter“ einen ganzen Rucksack an Ansprüchen und Ideen mitgegeben, wie ich zu sein habe. Da geht es mir ein bisschen wie dem Muttertag. Ihn deshalb nicht haben zu wollen, in dieser Form, in der ich einfach lieb gehabt, anerkannt und gefeiert werde, fände ich irgendwie komisch. Es ist ein bisschen wie mit den Leuten, die sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten nichts schenken, weil sie es irgendwie unehrlich finden, weil es so angeordnet ist. Und weil man sich ja das ganze Jahr über „einfach so“ etwas schenken kann. Das Problem an der Sache ist nur: Die Meisten machen es dann nie.

Foto: flickr – Chung Ho Leung – CC by 2.0

 

Das war alles leichter mit 23

Vor einiger Zeit las ich einen Text von einer Autorin, die eigentlich nur ein neues Parfum kaufen wollte. Man empfahl ihr im Laden ungefragt auch ein Anti-Aging-Produkt. Die Autorin war 23. Sie fand es völlig zu recht absurd, dass sie – quasi gerade erst der Clearasilwerbung entwachsen – als nächstes geradewegs die Falten-Vermeidungs-Ware kaufen sollte. „So’n Quatsch“, schrieb sie, „braucht kein Mensch“. Älter werden ist schließlich kein Problem, sondern völlig normal. Und aufgeklärte, selbstbewusste Frauen lassen sich schon gar nicht unsicher machen und für dumm verkaufen. Damit war die Sache für die Autorin erledigt. Solche Texte sind gut und richtig und wichtig. Ich habe selbst ein paar davon geschrieben. Aber es war leichter, sie mit 23 zu schreiben.

Ich weiß nicht mehr genau, wann es begann. Aber irgendwann waren die Kissenfalten auch Stunden nach dem Aufstehen noch da. An manchen Tagen blicken sie mir noch auf dem Weg zur Mittagspause vom Fahrstuhlspiegel aus entgegen. Auf meiner Stirn hat sich eine Runzelfalte festgesetzt, die wohl bezeugt, dass ich viel öfter angestrengt nachdenke, als zu lachen. An meinem Körper gibt es Teile, die lassen sich ziemlich hängen. Und ich habe wenig Hoffnung, dass sie sich noch einmal zusammenreißen. Mein nächster runder Geburtstag wird eine „4“ auf dem Kuchen haben. Ganz vorn steht die dann.

Ich habe immer noch, genauso wie mein 23jähriges Ich, Trockenshampoo auf Lager und wickele die Haare an bestimmten Tagen mit Vorliebe zum Dutt, um das Kämmen zu vermeiden. Ich verstehe immer noch nicht ganz, wieso man sich die Zähne aufhellt oder Hyaluron-Cremes für 70 Euro braucht. Ich trage gern Sport-BHs, weil ich sie bequem finde. Aber ich verlasse auch das Haus immer häufiger mit Concealer. Ich creme jetzt. Das muss ich zugeben. Und ein Gedanke drängt sich mir auf: War meine Entspanntheit dem eigenen Äußeren gegenüber vielleicht einfach nur ein schönes Privileg, weil ich damals eben nichts davon brauchte, mit 23?

Ich ertappe mich dabei, wie sich meine Unterlippe vor Anspannung kräuselt (und meine Runzelfalte noch tiefer wird), wenn ich im Spiegel konzentriert schaue, ob dies ein graues Haar ist. Wenn ich eines finde, will ich es herausziehen und möglichst schnell verschwinden lassen. Was ist es schließlich mehr als ein sehr greifbares Zeichen meines körperlichen Verfalls? Und dann denke ich an die Haarlocken, die manche von den ersten Haarschnitten ihrer Kinder aufheben. Man legt sie in hübsche kleine Boxen, aber nie würde uns das mit unseren ersten grauen Haaren einfallen.

Es ist nicht so, als hätte mich jemand in kaltes Wasser getunkt und beim Auftauchen wäre mir die eigene Vergänglichkeit schlagartig bewusst geworden. Das Ganze geschieht langsamer, subtiler. Und irgendwann gibt es dann eben ein paar Dinge, die dir verlässlich jeden Tag deutlich machen, dass du nicht immun gegen den Lauf der Zeit bist. (Und wenn es nur die eigenen, viel zu schnell wachsenden, Kinder sind.)

Es ist nicht so, als hätte jetzt eine Spirale nach unten eingesetzt. Aber ich bin sehr wahrscheinlich nicht mehr ganz jung. Ich bin definitiv nicht mehr 23. Das klingt jetzt melancholischer als es gedacht ist. Aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich bisher an das Altern eher in einem abstrakten Sinn gedacht. Ich dachte, es wäre etwas, womit ich selbstverständlich umgehen würde. Etwas, das ich problemlos annehmen würde, sobald mein Lächeln (oder das Nachdenken oder die Schwerkraft) die ersten Falten offenlegt. Ich dachte, wenn ich an Stellen zulege, die mir nicht gefallen, würde ich coole weite Leinensachen tragen wie Barbara Streisand in „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“. Und ich würde nicht fanatisch jedes schwarze Haar am Kinn mit der Pinzette jagen. Ich dachte, ich würde so eine ältere Frau sein, die jeden Morgen im Berliner Teufelssee (der mit dem Nacktbadebereich) ihre Runden dreht. Die fröhlich auf dem Fahrrad angeradelt kommt, sich auszieht als ginge es unter die Dusche und dann wieder von dannen radelt. Zufrieden und in sich ruhend.

Die Sache ist aber so. Es ist ziemlich einfach, das zu romantisieren, wenn man denkt, dass nicht nur dieses Alter noch eine ganze lange Weile hin sei, sondern auch seine ersten Anzeichen. Man kann sich leichter ausmalen, wie man sich fühlen wird, bevor das Gesicht langsam nach unten fällt und man immer häufiger gefragt wird, wieso man so böse schaut. Und dann liest man plötzlich doch die Antifaltenanzeigen und bei den Werbespots für Haarfärbemittel geht es nicht mehr nur ums fröhliche Experimentieren mit Farben. Werde ich jetzt zu der Frau, von der erwartet wird, in Zukunft die Abende mit Plastikhandschuhen und Farbtuben zu verbringen? Wie viele Stunden meines Lebens werde ich nun cremen und auf das Einwirken der Farbe warten? Und das Schlimmste an der Sache, das Ganze ist nicht so oberflächlich und äußerlich, wie es mir mit 23 schien. Meine Falten sind auch Anzeichen dafür, dass tatsächlich etwas vergeht. Dass sich auch in mir drin etwas verändert, meine eigene Vergänglichkeit wird mir bewusst.

Und jetzt? Ich glaube, wir sollten in jedem Alter versuchen, selbstbewusst unsere eigene Schönheitsgeschichte zu schreiben. Unabhängig von den Versprechungen, Verlockungen und vor allem Zweifeln, die Kosmetikindustrie und Werbung in uns setzen. Aber diese Schönheitsgeschichte ist eben auch nie zu Ende, wir schreiben ständig an ihr weiter. Das jetzt, das bin auch ich. Und mir wird eines sehr bewusst. Die Texte mit 23 waren gut und richtig und wichtig. Aber ich glaube, jetzt zählt es wirklich. Altern an sich ist kein rebellischer Akt, keine wohldurchdachte Ablehnung der medialen Zerrbilder, wie eine attraktive Frau auszusehen hat. Es ist einfach unvermeidlich. Vermeidlich ist aber auch, sich selbst zu verlieren. Daran glaube ich immer noch. Man selbst zu bleiben, auch angesichts des immer präsenten Rauschens, mal lauter, mal leiser, was uns zuflüstert, wie wir sein sollten und sein könnten, das ist das Schwierige. Das Rauschen, in dem nicht nur die äußerlichen Anzeichen des Alters zu hören sind, sondern auch die ganzen Annahmen, die sonst mitschwingen. Dass die meisten Frauen, wenn sie älter werden, quasi zwangsläufig weniger ambitioniert und sichtbar sind. Welche Frau hat sich mit 50 nochmal neu erfunden?

Es war einfacher mit 23 Texte darüber zu schreiben, das Alles einfach zu überhören. Ich habe den Verdacht, die richtige Arbeit geht jetzt erst los.

Foto: flickr – simpleinsomnia – CC by 2.0

Gastbeitrag: Frau liebt Frau

„Es ist was es ist, sagt die Liebe.“ schrieb der Dichter Erich Fried (und sang später die Band MIA). Und damit sollte eigentlich alles gesagt sein. Ist es aber leider oft nicht. Jamie hat in diesem Monat einen sehr persönlichen Gastbeitrag geschrieben, der irgendwie wieder zu Fried zurückführt. Analysiert die Liebe nicht, sagte er in seinem Gedicht, aber vor allem auch – beurteilt sie nicht. Danke Jamie für deine Offenheit und deine wunderbaren Sätze.

Das erste Mal verliebt sein ist wohl etwas, das niemand vergisst. Das erste Kribbeln im Bauch, die Vorfreude, das Verlangen, dem Menschen nahe zu sein. Und doch wurde ich dafür ausgelacht und gehänselt. Denn ich verliebte mich nicht in einen Jungen, wie sich das für ein Mädchen nun mal gehört. Nein, mein Herz blieb bei Frauke hängen.

Frauke hat von diesem Gefühl nie erfahren. Denn nachdem ich mich meinen Schulkameradinnen anvertraut hatte, haben sie mich damit aufgezogen. Danach wollte ich dieses Gefühl nie mehr für eine Frau empfinden. Ich verdrängte es, trieb mich mit Männern herum, empfand sie als super Kumpels und führte Beziehungen mit ihnen. Aber mir fehlte immer etwas. Dieses gewisse Etwas, von dem alle gesprochen haben und was mich immer von ihnen wegtrieb. Viel Unruhe war in mir, irgendetwas fehlte immer. Ich begriff erst sehr spät, dass ich vieles ausprobierte, damit diese Lücke gefüllt wird. Vielleicht muss Mensch im Leben eben doch nicht alles ausprobiert haben.

Doch dann wollte ich dieses Gefühl nicht mehr verdrängen, dieses Gefühl, welches mich immer zu Frauen hinzog. Beim queeren Stammtisch war ich plötzlich wieder 13 und die Gefühle wieder so präsent wie eh und je. Diese Frau, sie haute mich um, ihr Duft, ihre Stimme, ihre Intelligenz, ihr Aussehen. An dieser Frau stimmte einfach alles. Meine Pubertät holte mich ein und mit ihr eine große Unsicherheit. Viele Ängste und Gedanken plagten mich. Wie ist das nur mit einer Frau, wird mir nicht auch dort wieder etwas fehlen? Wie ist das mit der Geborgenheit, der Sicherheit in den Armen einer Frau und vor allem, wie ist das so ohne Penis?

Ein One-Night-Stand ist etwas anderes, als eine Beziehung mit einer Frau einzugehen. Ich wollte mir sicher sein und nicht nur mal ausprobieren, denn das hat keine verdient.
Nach intensiven Gesprächen, einigen Treffen und viel Gefühl kam der erste Kuss, das erste Austauschen von Zärtlichkeiten und plötzlich merkte ich, dass nichts fehlte. Sondern es sich endlich richtig anfühlte. Plötzlich verstand ich, was dieses gewisse Etwas ist. Dieses gewisse Etwas, was auch ich endlich fühlte. Doch mit dieser Vertrautheit kamen auch Probleme. Probleme, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Denn nun ist alles anders.

Pluralistische Lebensweisen habe ich im 21. Jahrhundert immer für selbstverständlich erachtet. Denn unsere Gesellschaft, unser Land und auch die rechtlichen Grundlagen haben, seit meiner Schulzeit, Fortschritte gemacht. Dennoch legen nicht alle Menschen diese Selbstverständlichkeit an den Tag. Auf einmal gibt es Probleme, wenn wir händchenhaltend durch die Stadt laufen. Böse oder angewiderte Blicke, Menschen, die uns sehr nahe kommen, die vor uns auf den Boden spucken oder uns sogar beschimpfen. Mit jeder Anfeindung wird die Angst größer. Aber nicht nur die Angst, die Liebe offen zu zeigen wird plötzlich zum Thema, sondern auch Alltäglichkeiten.

Denn immer wieder muss ich mich rechtfertigen. Rechtfertigen, warum die Haare kurz sind. „Wirst du nun zur Klischee-Lesbe?“ Rechtfertigen, warum ich mit einer Frau zusammen bin. „Du bist doch hübsch und bekommst sicherlich auch einen netten Mann ab.“ Rechtfertigen, warum wir denn Probleme mit Anfeindungen haben. „Heute hat doch niemand mehr Probleme mit Lesben. Ja, bei Schwulen ist das vielleicht noch so. Bei euch Lesben doch nicht. Männer finden das doch geil, zwei Lesben.“ Anfeindungen kann Mensch sich da überhaupt nicht vorstellen. Ängste schon gleich gar nicht. Allerdings sind sie da, allgegenwärtig und präsent.
Meine Strategie dagegen ist, sich erst recht weiterhin öffentlich zu lieben. Den Ängsten zu stellen und mit den Menschen, die eine Rechtfertigung einfordern, ins Gespräch zu kommen. Und den Fokus auf die Menschen zu richten, die uns zulächeln. Die uns als das wahrnehmen, was wir sind. Zwei Menschen, die sich lieben und glücklich sind.

Liebe sollte sich nie rechtfertigen müssen. Denn ja, ich liebe. Eine Frau liebt eine Frau. Punkt.

Foto: flickr – Steve Snodgrass – CC by 2.0