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Gastbeitrag: Meine facebook-Freundin

Viele Artikel wurden zu dieser Studie geschrieben. Der, die herausgefunden haben will, dass uns das Betrachten anderer Leben im Netz unglücklich macht.  Die Argumentationskette scheint logisch. Die Meisten posten eben häufiger Sonnenuntergänge und das eigene lachende Gesicht als Tränen, perfekte Leben also. Und wir fühlen uns klein. Unsere Reaktionen auf Postings scheint aber auch auf anderer Ebene beinahe automatisiert: Wir vergleichen, wir bewerten, wir beneiden, wir verdammen. Umso mehr habe ich mich über diesen Gastbeitrag von Julia gefreut. Weil er ehrlich ist und eine Brücke schlägt, wo wir sonst immer gleich zu wissen glauben, wo der Graben verläuft. Bevor ihr los lest, sei euch noch Julias wunderbarer eigener Blog (ebenso wie ihre anderen Onlineaktivitäten) aufs Wärmste empfohlen. Mit klugen, manchmal fast poetischen Texten – und immer mit einem emphatischen Blick auf die Welt.  Weiterlesen

Gastbeitrag: Meine facebook-Freundin

Viele Artikel wurden zu dieser Studie geschrieben. Der, die herausgefunden haben will, dass uns das Betrachten anderer Leben im Netz unglücklich macht.  Die Argumentationskette scheint logisch. Die Meisten posten eben häufiger Sonnenuntergänge und das eigene lachende Gesicht als Tränen, perfekte Leben also. Und wir fühlen uns klein. Unsere Reaktionen auf Postings scheint aber auch auf anderer Ebene beinahe automatisiert: Wir vergleichen, wir bewerten, wir beneiden, wir verdammen. Umso mehr habe ich mich über diesen Gastbeitrag von Julia gefreut. Weil er ehrlich ist und eine Brücke schlägt, wo wir sonst immer gleich zu wissen glauben, wo der Graben verläuft. Bevor ihr los lest, sei euch noch Julias wunderbarer eigener Blog (ebenso wie ihre anderen Onlineaktivitäten) aufs Wärmste empfohlen. Mit klugen, manchmal fast poetischen Texten – und immer mit einem emphatischen Blick auf die Welt. 

Meine facebook-Freundin ist nicht meine Freundin. Wir sind miteinander zur Schule gegangen. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Fast 20 Jahre nicht. Aber auf facebook sind wir verbunden.

Meine facebook-Freundin hat ein großes Publikum. Sie sendet – wir sehen zu. Sie fotografiert – wir spenden Beifall. Und das nicht zu knapp, denn meine facebook-Freundin postet wunderschöne Bilder. Jedes einzelne Foto ist wie eine Postkarte. Sie selbst mit überschlagenen Beinen auf einem Geländer sitzend, den Kopf in den Nacken gelegt.

Sie sendet – wir sehen zu. Sie fotografiert – wir spenden Beifall.

Sie mit einem Sonnenhut in der Hand und mit dem Rücken zur Kamera, die Füße im Meer. Sie in einem wunderschönen Kleid bei irgendjemandes Hochzeit. Meine facebook-Freundin hat feine, offene und freundliche Gesichtszüge, auffallend blonde, regelmäßig gelockte Haare und eine Figur wie ein Model. Sie ist wunderschön. Ihre Landschaftsaufnahmen stammen aus der halben Welt. Indien, Südamerika, Kanada, Neuseeland, Japan. Überall scheint sie schon gewesen zu sein, sogar gelebt zu haben. Ihre Detailaufnahmen fangen gekonnt ein, was ihre aktuelle Umgebung ausmacht. Marktstände, Bachufer, Gebäck, geschickt in Szene gesetzter Kaffee. Ein umwerfendes, leicht verschwommenes Lächeln in Richtung Kamera vor einem Tempel, ihre perfekt lackierten Nägel um ein Weinglas. Meine facebook-Freundin hat ein aufregendes, stilvolles, wunderschönes Leben.

Da könnte ich neidisch werden. Meine Social-Media-Streams zeigen Buchumschläge, unaufgeräumte Küchen, geschmückte Kindergeburtstagstische und seit neuestem Teetassen. Mein Leben hält dem Vergleich nicht stand. Es ist nichts Glamouröses an einem Alltag mit drei Kindern, in dem im Grunde jeder Tag dem anderen gleicht und du selbst doch nie genau weißt, wie und wo er zu Ende geht. Nur eines ist sicher: Es wird nicht in diesem schicken Sushi-Restaurant sein, das meine facebook-Freundin gerade gepostet hat, und auch nicht auf dieser Party im 100. Stock eines Hochhauses mit Panoramablick aus riesigen Glasfenstern, auf der sie letzte Woche war. Das Ende des Tages wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Sofa abspielen, bei einem Film, einem Brettspiel, vielleicht einem Glas Wein. Mit Pech geht der Tag aber auch in einer Notaufnahme zu Ende, weil sich eines der Kinder plötzlich in Dauerschleife übergibt. Was ziemlich facebook-ungeeignet ist.

Manchmal stellt sie neue Fotos in ein Album, das sie „die Schönheit alltäglicher Dinge“ genannt hat. Ihre alltäglichen Dinge sind nicht meine. Ich bin nicht umgeben von wundervollen Blumen, Kleidern aus feiner Spitze, hochhackigen Designerschuhen und grandios angerichteten Obsttellern.

Sie stellt Fotos in ein Album, das sie „die Schönheit alltäglicher Dinge“ genannt hat. Ihre alltäglichen Dinge sind nicht meine.

Wäre ich es gerne? Aber sicher. Manchmal ist es schwer, diese Bilder zu betrachten und sich danach nicht seufzend umzublicken. Bis vor kurzem dachte ich manchmal: „Wieso sehe ich nicht so aus, stehe in Sydney vor der Oper, winke von einem weißen Segelschiff in Richtung Strand?“ Als würden mich die Fotos hämisch angrinsen, sieh her, mein Leben ist besser als Deins! Dann fiel mir etwas auf.

Ich habe meine facebook-Freundin noch nie losgelöst von mir betrachtet. Immer habe ich bewertet: Wunderschön dort, chaotisch hier. Aufregend dort, immer der gleiche Stress hier. Immer hatte ich das Gefühl, dass ihre Bilder mir etwas über mein eigenes, unperfektes Leben sagen wollten. Erst vor kurzem habe ich verstanden, dass das nicht so ist. Die Bilder meiner facebook-Freundin beschreiben lediglich sie selbst. Meine facebook-Freundin ist eine Ästhetin. Sie liebt es, sich zurecht zu machen und ihre Schönheit zu unterstreichen. Sie reist viel, hat keine Kinder, genießt Essen und Trinken und die Beziehungen in ihrem Leben. In allem sieht sie Schönheit. Sie hat ein hervorragendes Auge für Fotos und setzt diese Schönheit gekonnt in Szene. Jedes Foto eine Liebeserklärung an die Welt, jedes Bild von ihr selbst ein kleines Geschenk. Sie hat Freude an dem, was sie umgibt, und widmet sich mit viel Liebe zum Detail allem, was ihr begegnet.

Nein, dachte ich bei mir. Das wertet mich nicht ab. Im Gegenteil. Es lässt mich teilhaben. Teilhaben an ihrer Sicht auf die Welt, die sich manchmal nur durch die Umstände von meiner unterscheidet. Teilhaben an Schönheit und Ästhetik, sogar wenn ich ab und zu nur Chaos um mich herum habe. Ganz ohne „Sieh her!“ Sie wirft ihr makelloses Lächeln in Richtung Kamera und sagt: „In diesem Augenblick geht es mir gut“. Einfach so.

Foto: flickr – J CJ– CC by 2.0

Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

Heute war so. Heute war grau. Heute war ein Tag, wie man die Tage nicht gern hätte. Heute war ein Tag, an dessen Ende ich als grundsätzlich positiver Mensch viel lieber an den nächsten Tag denke, als an die vergangenen Stunden. Weil ich es aber doch tue, also noch einmal an den heutigen Tag zu denken, fällt mir etwas auf. Heute war es wieder sehr laut. Aber gut laut. Melodiös laut.

Ich habe in den Untiefen meines CD-Regals alte Schätze gehoben. Und während ich durch die Wohnung lief und 90er-Jahre-Klassiker schmettere (darunter die heilige Dreifaltigkeit von Un-Break My Heart/Toni – Vision of Love/Mariah– I Have Nothing/God bless you, Whitney), bemerkte ich, dass ich nicht nur Eins-A textsicher war. Ich bemerkte auch, dass mich meine Tochter mit einer Mischung aus Freude und Verwunderung anschaute. (Wie verwirrt sie war, ließ sich schon allein daran ablesen, dass sie nicht zum Ruf nach sofortigem CD-Wechsel auf den Bibi und Tina – Soundtrack ansetzte.)

Selbst das Baby blickte kurz irritiert aus der Trage auf und unterbrach sein wimmerndes Nagen auf der Veilchenwurzel. (Disclaimer für Nicht-Eltern: Unsere natürlich-natürliche Erziehung geht nicht so weit, dass das Baby sich in bester Biebermanier ein eigenes Winterquartier aus Zweigen bauen muss, es zahnt nur wieder.)

Und während ich zum Finale von Without you ansetzte, wurde mir klar, dass sie mich wahrscheinlich beide so irritiert anschauten, weil sie mich eine Weile nicht mehr so gelöst gesehen hatten. Das lag daran, dass ich sang. Ich habe einmal sehr gern und viel und sehr laut gesungen. Ungefähr in der Zeit, als ich meine unglaubliche Textsicherheit bei obigen Liedern erlernte. Ich habe vermutlich nie gut gesungen. Aber das wusste ich nicht. Ich glaubte, ich singe mindestens ganz passabel, wenn nicht sogar sehr hübsch anzuhören für das menschliche Ohr. Das lag nicht an meinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein, sondern daran, dass man die eigene Stimme ja immer anders hört als die Umgebung. Und pubertäre Gehörverzerrung sich zu Höchstleistungen aufschwingt, wenn man sich gerade die Haare toupiert hat, noch ein pinkes Unterhemd findet und es mit dessen Hilfe sehr nachvollziehbar erscheint, dass man gerade eine äußerst gelungene Interpretation von I Wanna Dance With Somebody aufführt. Unterstützt wurde ich von meiner Selbstwahrnehmung bis zum Abitur von meiner Musiklehrerin, die mir für meine Gesangvorträge immer Einsen (und später 15 Punkte) eintrug. Dass dies eher an meiner eigenen Klavierbegleitung lag als an meiner Stimme, darauf kam ich damals nicht. Heute weiß ich natürlich, dass das geschundene Herz der armen Musiklehrerin einfach dadurch erfreut wurde, dass Jugendliche auch über das 12.Lebensjahr hinaus noch Instrumente spielten. Und wer immer sich selbst begleitete, also die Höchstpunktzahl sicher hatte.

So trällerte ich mich durchs Leben bis zu jenem düsteren Tag, an dem meine Mitbewohnerin in meiner ersten WG am Frühstückstisch anmerkte, dass sie mein ständiges Gejaule nicht mehr ertragen würde. Woraufhin ihr die weiteren Bewohner zustimmten und sogleich im Nutellarausch Metaphern für mein liebstes Hobby erfanden. Ich klang demnach nicht wie Whitney, sondern wie „ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten hat“ oder „wie zankende Eichhörnchen im Park – braune Eichhörnchen, also die bösen, die sowieso niemand mochte.“

Ich lachte ihre Bemerkungen weg. Und hörte auf zu singen. Von nun an sang ich nur noch im Auto und an anderen Orten der Einsamkeit (mit Ausnahme des weihnachtlichen Kirchgangs). Erst langsam tastete ich mich in den letzten Jahren mithilfe von Kinderliedern wieder an öffentliche Darbietungen heran.

Die meisten Menschen, die ich kenne, haben einen: diesen kleinen, fiesen Moment, in dem jemand etwas beiläufig sagte, das ihnen seitdem die Seele schwer macht. Da ist die Freundin, der man einmal attestierte, sie würde wahnsinnig unelegant auf dem Büroflur herum schlurfen und die nun in regelmäßigen Abständen ihren Gang korrigiert. Immer wenn ihr der Kommentar wieder in den Kopf kommt. Nicht jeden Tag, aber oft genug. Oder die Bekannte, der ihr eigentlich sehr zufriedener Blick in den Spiegel von einer bösartigen Stilberaterin versaut wurde. Sie zeigte ihr, wie sie ihr hängendes Augenlid („Sehen Sie doch hier, ein bisschen wie Karl Dall.“) verstecken könnte.

Nun ist heute schon der dritte Tag des Jahres und ich habe seit dem Jahreswechsel überlegt, ob ich etwas zu Vorsätzen bloggen sollte. Und es hiermit getan. Inklusive ordentlichem Pathos, wie man ihn eben von jemanden erwartet, die den ganzen Tag 90er-Jahre-Schnulzen inhaliert hat, verkünde ich also: Ich werde 2017 wieder ohne schlechtes Gewissen Menschen (aber am Meisten mich selbst) mit Dissonanzen erfreuen. Wir alle sollten uns das Singen nicht verbieten lassen. Ganz gleich, was unser Singen ist.

Foto: flickr – 8 Kome – CC by 2.0

#2 Was ich nicht wusste – Unbeschrieben Podcast

Jetzt sollte es losgehen mit dem Schreiben. Musste es sogar, denn soviel Zeit habe ich ja nicht. Nach den ersten Wochen ist mir allerdings eines klargeworden: Es gibt ein paar Dinge, die ich mir ein klein wenig anders vorgestellt hatte. Oder die ich nicht wusste. Zum Beispiel, dass ich oft tropfend und frierend im Bad stehen würde. Warum? Das erfahrt ihr in der zweiten Folge des Unbeschrieben-Podcast.

Viel Spaß beim Hören,
Eure Corinne

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Intromusik: Neon Bicycles – Hard Times/ Mittelteil: Talk Less Say More – England Without Rain (CC-by-NC)

Zu Gast im Lila Podcast

Jedes Jahr zu Weihnachten laden sich die Macherinnen vom Lila Podcast, dem besten, lustigsten und sympathischsten Feminismus-Podcast von hier bis zum Ende des Patriarchats einen Gast ein. Diesmal war das ich und ich hatte viel Spaß mit Kathrin in ihrer Küche (inklusive Glühwein und Stollen). Worüber wir geredet haben, könnt ihr hier nachhören.