Liebe X,
wir müssen reden. Weißt du, ich muss für so eine Verabredung zum Abendessen ein paar Dinge arrangieren. Deswegen bin ich auch ein bisschen egoistisch, wenn es um solche Abende geht. Ich möchte, dass ich Spaß habe. Ich freue mich auch auf ein Essen, das nicht aus kindertauglichen Frikadellen, Nudeln oder in Püree verstecktem Gemüse besteht.
Und ich freue mich auf dich. Auf gute Gespräche mit dir. Beides funktioniert nicht mehr, seit du nicht mehr halbe, sondern nur ein Drittel von einem Nachtisch bestellst. Seit du vom Sport herein rauschst (in den Italiener, zu dem du unbedingt wolltest) und noch vor dem Hinsetzten verkündest, dass du eigentlich keinen Hunger hast und nur den Beilagensalat bestellst. Es macht einfach keinen Spaß, wenn ich mich auf die Pasta freue.
Fast wünsche ich mich in die Zeit zurück, als du gar keinen Nachtisch bestellt hast. Und das Ganze Diät nanntest. In Wirklichkeit wünsche ich mir aber wohl die Zeit zurück, als Essen nur eine angenehme Untermalung unseres Gespräches war und nicht der Dreh- und Angelpunkt der Unterhaltung. Mit meinem Essen spielst du das „Es ist ewig her, dass ich das nicht mehr gegessen habe“ – Spiel. Ich weiß, dass du seit vier Monaten keine Milchprodukte mehr gegessen hast, seit vierzehn kein rotes Fleisch und seit mindestens zwei Jahren keine Pommes mehr. Ich verstehe das ein wenig. Wir sind alle irgendwie gesundheitsverliebt und viele dazu noch körperfixiert. Wir stellen dann eine Distanz zu anderen her. Man fühlt sich kurz besser und es hilft einem selbst. Denn sich immer zusammenzureißen, ist eben auch anstrengend. Ich erzähle auch allen, dass ich jetzt schon zwei Jahre keinen Kaffee mehr trinke und glaube, es geht mir wirklich besser damit.
Aber wir reden nur über Verzicht. Oder über die Anzahl von Schritten. Oder über Proteinriegel in deiner Handtasche. Es war nicht gesund. Aber die gemeinsamen Erinnerungen von Seriennächten, in denen uns schlecht von Eiscreme war, sind mir die lieberen. Es geht mich vielleicht nichts an, welche Entscheidungen du triffst, was du mit deinem Körper machst. Aber ich bemerke deine Unruhe, wenn mein Essen auf dem Tisch steht. Ich möchte dich umarmen und dir sagen, dass die Welt nicht im Chaos versinkt, wenn du Kohlenhydrate isst.
Als dieser gedrittelte Kuchen an unserem Tisch ankam und du mich fragtest, ob ich nicht auch etwas will, weil er ganz schön mächtig aussieht, da war ein Punkt erreicht. Weißt du, ich finde, wenn es um gesellschaftliche Esssituationen geht, gibt es unausgesprochene Regeln. Nimm von mir aus kein Dessert. Aber wenn du eines nimmst, nimm kein Drittel und versuche es zu verteilen. Man sollte sich ja auch eine Hose anziehen, wenn man dem Paketboten öffnet. (Schau, wir hätten zum Beispiel über die Geschichten meines Postboten lachen können.)
Ich glaube, es geht nicht mehr lange gut mit uns. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du bemerkst, dass ich mich unwohl fühle. Mich stört, dass mein Körper so unfit geworden ist, dass ich Muskelkater nach einem Strandspaziergang bekomme. Meine wabbeliger-als-vor-dem-zweiten-Kind-Oberarme stören mich eigentlich nicht. Nur, wenn ich dir gegenüber sitze und du es zum Thema machst. Deshalb werde ich bald etwas sagen. Und du wirst mir vermutlich vorwerfen, dich nur zu kritisieren, weil ich meine eigene ungesunde Lebensweise rechtfertigen will.
Ich bin traurig, es ist schade. Es ist doch nur Essen. Aber für mich war Essen unter lieben Menschen eben nie nur Essen. Es war immer mehr: Nähe, Gemeinschaft, Vertrautheit. Deshalb schmerzt es mich, wenn ich das Gefühl habe, dass jemand es sich versagt.
Foto: flickr – Andrew Sweeney -CC by 2.0