Gastbeitrag, Leben & Lesen
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Oh, Jesus – Jessi gastbeitragt über Religion

Als Jessi mir schrieb, dass sie über Religion schreiben will, weil „Religion wie Analsex ist, gern in den Medien, jeder hat ein paar abstrakte Worte dazu zu sagen, aber über die Praxis redet keiner.“, da habe ich etwas länger gestutzt. Hatte aber eine Idee, was sie meinte und herausgekommen ist ein sehr interessanter Text einer jungen Christin. Den ich selbst nicht hätte schreiben können. So habe ich mir das mit den Gastbeiträgen vorgestellt. Danke, Jessi! ***

Religion ist eine Krücke für die schwachen Menschen, so kommt es mir immer vor, wenn ich erzähle, dass ich Christin bin. Also erzähle ich nur noch selten davon. Das fällt mir nicht besonders schwer, denn das Thema kommt sehr selten auf.

Mit der Flüchtlingsdiskussion wird wieder mehr über Religion geredet.

Ich denke, ich hätte eine Meinung dazu, die man sich anhören könnte. Denn ich kann es nachvollziehen, was es heißt, religiös zu sein. Wenn ich aber erzähle, dass ich an Gott glaube, so richtig wirklich und auch in die Kirche gehe, bete, all das, dann werde ich schräg angeschaut.

flickr – Mary – CC by 2.0

Jessi ist 17 und erst vor Kurzem über Facebook auf das makellosmag gestoßen. Weil sie überlegt, nach dem Abitur „etwas mit Schreiben“ zu machen, kam sie auf die Idee mit dem Gastbeitrag. Die Idee eines eigenen Blog beschäftigt sie auch bereits eine Weile. Deshalb freut sie sich über ganz viel Feedback von euch, wie ihr ihren Text fandet.

Ich merke, dass ich dann für naiv gehalten werden. Als wäre ich noch nicht richtig erwachsen, würde noch bei Mama am Rockzipfel hängen. Denn da muss ich das ja her haben, von meinen Eltern. Habe ich auch, aber jetzt ist meine Religion mein Eigenes und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. Das wird mir selten geglaubt, denn Glauben kommt heute schlecht an. Die Meisten finden es naiv und Gott braucht man auch nur, wenn man selbst sein Leben nicht auf die Reihe bekommt.

Du betest, weil du deine Probleme allein nicht gelöst bekommst.

Du glaubst an ein Leben nach dem Tod, weil dein jetziges Scheiße ist und glaubst nur an etwas, was größer ist als du selbst, weil du selbst dir so klein vorkommst.

Die anderen schauen mich an und denken, schön, dass du einen Strohhalm gefunden hast. Ich kann aber auf eigenen Beinen stehen. Unabhängigkeit und Stärke geht nicht mit Religion zusammen. Als Frau schon gar nicht. Dass man sich selbst für den Glauben entschieden hat, glaubt keiner. Den muss dir doch jemand eingeredet haben.

Manchmal werde ich darüber richtig sauer. Und wünsche mir, dass Gott es allen zeigt. Dass er sich mal zeigt als allmächtig und ein paar Feuerblitze schießt, damit sie alle vor ihm niederknien. Das ist natürlich ein unchristlicher Gedanke, das ist mir klar. Meine Religion hat auch mit Selbstaufgabe zu tun, mit klein sein. Jesus ist Gottes Sohn, der Sohn von jemandem, der alles erschaffen hat. Und doch kam er als Mensch, eingeschränkt wie wir sind. Er kam als Baby, abhängig von anderen, lebte mit den Armen und starb völlig machtlos. Seine Machtlosigkeit und sein Außenseitersein kam daher, dass er über Recht und Unrecht nicht nur gesprochen, sondern auch gehandelt hat. Er hat jeden akzeptiert, wie er war. Von den religiösen Führern wurde er dafür verachtet, bei ihnen gab es keinen Platz für seine Offenheit. Sie dachten, sie waren im Recht, weil sie sich an ihre eigenen Regeln hielten. Nur die Sünder verstanden Jesus. Sie verstanden, dass sie ihre Probleme vor Gott nicht verstecken können und nicht nur durch eigene Stärke überwinden können. Und dass dort jemand war, der freigiebig Vergebung anbot. Ich verstehe nicht, was man daran naiv finden kann, wieso es nicht zum heutigen Leben passen sollte.

Von mir aus muss man nicht glauben.

Aber als Jesus am Schwächsten war, als er starb und begraben wurde, erwuchs seine größte Stärke, die Wiederauferstehung. Wenn ich selbst wiederauferstehen könnte, mich immer auf meine eigene Kraft verlassen könnte, bräuchte ich Gott vielleicht auch nicht. Mit einem perfekten Leben könnte ich vielleicht denken, alles eine verrückte Idee. Aber ich bin menschlich. Jesus kam, um sich denen anzunehmen, die Hilfe brauchen. Und wenn wir ehrlich sind, brauchen wir alle irgendwann einmal Hilfe. Ob wir es begreifen oder nicht. Egal, ob wir jetzt stark tun. Meine Religion ist das Wissen, dass ich bereits eine Lösung habe, wenn etwas schief geht. Das finde ich sehr erwachsen und weitsichtig und klug. Deshalb ärgert es mich, dass Religion irgendwie immer mehr mit Unintelligenz gleichgesetzt wird. Als wäre es eine natürliche  Entwicklung hin zum Nicht-Glauben, wenn man nur klug genug ist und lange genug darüber nachdenkt. Und dann denke ich, vielleicht können wir mit anderen Religionen so wenig anfangen, weil wir selbst verlernt haben, den Glauben an etwas zu akzeptieren.

Foto: flickr – Gabriel Herrera – CC by 2.0

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